Ilir Azemi: Vom Scheitern und Aufstehen eines Fußballers

18.2.2016, 11:34 Uhr
Ilir Azemi: Vom Scheitern und Aufstehen eines Fußballers

© Foto: Zink

Ilir Azemi ist wieder einmal gefragt, eineinhalb Jahre nach seinem Autounfall, der ihn fast das Leben gekostet hätte. Vor vier Wochen stand er seither erstmals wieder im weiß-grünen Trikot auf dem Platz; bei einem Testspiel der zweiten Mannschaft schoss er fünf Tore. Kaum einer wollte registrieren, dass der Gegner nur der Bezirksligist TSV Burgfarrnbach war, fast niemand nahm zur Kenntnis, dass der Verein das Wort "Rückkehr" vermeidet.

Von Stefan Ruthenbeck, der seit seinem Amtsantritt als Trainer im vergangenen Sommer lediglich ein paar Worte mit Azemi gewechselt hat, kommt nur ein vorsichtiger Glückwunsch: "Ich wünsche mir einfach, dass er gesund wird. Vielleicht war das jetzt ein wichtiger Schritt für ihn, dann schauen wir einfach mal." Kleeblatt-Fans stellten Azemi über die Monate direkt oder via Internet die Frage: Wann kannst du wieder spielen? Die Antwort ist, dass er immer noch krankgeschrieben ist. Auch weitere drei Einsätze in Testspielen galten als "Arbeitsversuche", weil er noch nicht "sporttauglich" ist. Azemi selbst antwortete nur selten auf die Frage, war hin- und hergerissen. "Einerseits freut es mich, denn es zeigt, dass die Leute mich nicht vergessen haben." Mehrere Aktenordner füllten auch Briefe mit Genesungswünschen, die ihn im Krankenhaus erreichten. "Manchmal aber werden mir die Fragen nach meiner Gesundheit zu viel", sagt er. Er wolle ja nicht arrogant wirken, indem er sie ignoriere, "aber man weiß ja immer noch nicht, wo es hingeht". Dieser Satz könnte über so vielen Kapiteln seines bisherigen Lebens stehen.

Anfang der neunziger Jahre flohen Azemis Eltern mit ihm und den zwei älteren Schwestern vor dem Kosovo-Krieg nach Deutschland, da war er nur wenige Monate alt. Sie landeten in Erfurt, wo der Junge das Fußballspielen zunächst auf der Straße und dann bei einem Verein mit dem Namen Motor Gispersleben lernte. Wenn man ihn viele Jahre später im Trikot der Spielvereinigung auf dem Platz sah, erkannte man in ihm immer noch den Straßenfußballer.

Goldener Jahrgang

Nach Fürth holte ihn die Spielvereinigung, als er 15 war. "Wie in einer Familie" fühlte er sich im Haus des Fürther Jugendtrainers Heinz Krapf. Seinen Vater hatte Azemi verloren, als er elf Jahre alt war. Bei den Krapfs gehörte er mit Felix Klaus und Johannes Geis zum letzten goldenen Jahrgang des Kleeblatt-Nachwuchses, Azemi galt nicht immer als pflegeleicht. Klaus und Geis haben den Sprung in die Bundesliga geschafft, Azemi blieb das bislang verwehrt. Dabei war für den Stürmer mit 22 Jahren, der in der Rückrunde der Spielzeit 2013/14 13 Tore geschossen hatte, die Bundesliga so nah. Eintracht Frankfurt wollte ihn im Sommer 2014 haben, gab auch ein Angebot ab. Doch noch vor dem Ende der Transferperiode geschah der Unfall.

Großen Anteil an Azemis Erfolg hatte sein damaliger Trainer Frank Kramer. Noch im Herbst zuvor, vor einem Heimspiel gegen Ingolstadt, hatten einige Fans höhnisch geklatscht, als Azemi selbst beim Warmschießen das Tor nicht getroffen hatte. Kramer sagte damals, er habe beim Gang in die Kabine in den Augen seines Stürmers die pure Angst gesehen. In der Folgezeit ließ der Trainer keine Gelegenheit aus, ihn stark zu reden. Mit Erfolg.

Hacke, Spitze, einfach rein! In guten Phasen erzielte Azemi auch Traumtore in Serie.

Hacke, Spitze, einfach rein! In guten Phasen erzielte Azemi auch Traumtore in Serie. © Zink / MeZi

Nach der Winterpause gelang Azemi fast alles: Er traf per Hacke, per Kopf, mit links und rechts und aus 30 Metern Entfernung. In der Fankurve riefen sie ihn nur noch "Fußballgott". Er wurde sogar in die Nationalmannschaft des Kosovo berufen. Die Schulterklopfer taten ihm aber nicht gut. In der Sommervorbereitung der Spielvereinigung flog er für ein Testspiel aus dem Kader. Trainer Kramer urteilte milde: „Er ist ein ganz junger Kerl, der lange arbeiten musste, um in den Fokus zu rücken. Jetzt ist er bekannt, und nun haben ihn die Gerüchte um einen Wechsel verrückt gemacht.“ Kaum hatten die beiden sich ausgesprochen, riss sich Azemi 24 Stunden später das Außenband. Und vier Tage vor dem zweiten Saisonspiel, dem Derby, zu dem er unbedingt wieder fit sein wollte, riss ihn dieser Unfall aus allen Träumen.

Am Morgen des 8. August 2014, um 4.30 Uhr, stieß er mit seinem Auto an der Stadtgrenze zwischen Nürnberg und Fürth mit einem Kleinlaster zusammen. Er erlitt eine Lungenquetschung sowie Brüche im Hüft- und Beckenbereich. 40 Minuten war er in dem Autowrack eingeklemmt. In den Wochen danach konnte er zunächst nur die Hände bewegen und lag sich wund. In einem Interview mit der Zeitschrift 11Freunde antwortete er auf die Frage, ob die Zeit nach dem Unfall die schwerste seines Lebens war: "Nein. Ich habe meinen Vater früh verloren, das war das Schwerste in meinem Leben. Der Unfall kommt erst danach."

Folgenschwerer Fehltritt und ungewisse Zukunft

Sportdirektor Martin Meichelbeck widmet nach eigenen Angaben zwei Stunden pro Tag dem "Projekt Azemi". Mal mit mehr, mal mit weniger Fokussierung kämpft der Patient in der Reha um eine Rückkehr in den Profisport. Vor etwa neun Monaten verstrickte Azemi sich in jene Schlägerei, für die er jetzt juristisch geradestehen musste. Eine geringe Haftstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt, er ist jetzt vorbestraft. Trotz dieses Fehltritts und der ungewissen Zukunft - kein Arzt wagte damals eine Prognose, ob Ilir Azemi wieder Leistungssport betreiben könne - bot ihm die Spielvereinigung einen Zweijahresvertrag an, den er annahm.

Als Hemmschuh im Wortsinn auf dem Weg der Besserung wirkt bis heute eine sogenannte Fußheberschwäche als Folge dieser Verletzungen, die sich aber stetig verbessert. "Normalerweise kann man mit diesen Verletzungen keinen Leistungssport mehr betreiben", sagt Meichelbeck, "aber Illi hat von Gott und der Natur eine außergewöhnliche Konstitution bekommen." Dass er das mit dem Toreschießen noch nicht vollkommen verlernt hat, zeigte Azemi in seinem ersten Testspiel im Januar. Eines seiner fünf Tore erzielte er sogar aus 45 Metern. So einen Schuss traut sich nur zu, wer ein großes Selbstbewusstsein hat. "Ich weiß, dass ich kicken kann", sagt Ilir Azemi.

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