Talisman und Totalschaden: Erras arbeitet sich zurück

14.11.2016, 09:59 Uhr
Da war noch alles gut: Bis Patrick Erras jedoch in Nürnbergs Mittelfeld wieder abräumen kann, wird es noch etwas dauern.

© FCN Da war noch alles gut: Bis Patrick Erras jedoch in Nürnbergs Mittelfeld wieder abräumen kann, wird es noch etwas dauern.

Der 17. März: Im Training kommt es zu einem Zweikampf. Nach dem Kontakt mit seinem Gegenspieler gerät Patrick Erras aus der Balance. "Ich hab die Kontrolle über meinen Körper verloren", sagt er, die Kontrolle über 85 Kilogramm. Sein Gewicht löst eine fatale Kettenreaktion aus, das rechte Knie knickt regelrecht weg. Patrick Erras merkt sofort, "dass etwas kaputt ist". Eigentlich alles. Mit einem Kleintransporter bringen sie ihn in die Kabine. Schmerzen spürt er erst später, in den Minuten danach steht der Fußballer unter Schock, auch seine Kollegen sind fassungslos.

Vom Oktober 2015 an setzte der Funkturm des FCN zu einem Höhenflug an, der den Club in Serie siegen ließ.

Vom Oktober 2015 an setzte der Funkturm des FCN zu einem Höhenflug an, der den Club in Serie siegen ließ. © Sportfoto Zink / DaMa

Der junge Mann hatte nach seinem überraschenden Debüt Mitte Oktober den ganzen Club auf ein neues, ein höheres Niveau gehoben. Patrick Erras ist plötzlich eine feste Größe im defensiven Mittelfeld, unverzichtbar, das Fachblatt kicker gibt ihm eine Traumnote nach der anderen. Nach seinen Einsätzen zwischen dem elften und 26. Spieltag ist er mit einem Schnitt von 2,72 notiert, die Experten staunen, Erstligisten interessieren sich für den fast zwei Meter langen Shootingstar.

Erst Glücksbringer, dann Patient   

"Wenn man darüber nachdenkt", sagt Erras, "kann man es fast nicht glauben." Er ist: ganz oben. Mit dem jungen Oberpfälzer auf dem Platz verliert der Club kein Spiel und holt sagenhafte 36 Punkte. Möglicherweise wäre sogar noch der direkte Aufstieg drin gewesen, wenn es diesen folgenschweren Zweikampf nicht gegeben hätte. Am 17. März.

"Ich denke sehr oft an die Szene", sagt Erras beim Gespräch in den Stuhlfauth-Stuben, versucht aber, gefasst zu bleiben. Er spricht über seinen Unfall, als wäre er vom Fahrrad gefallen. Wird schon wieder, nicht so tragisch, bloß nicht übertreiben. Dabei lässt sich kaum in Worte fassen, was er erleben musste. "Soweit ich weiß, ist das Innenband nicht betroffen." Ach ja, und das hintere Kreuzband. Alles andere: kaputt. Von einer Sekunde auf die nächste ist er: ganz unten.

Aus dem Beckenkamm wird ihm ein Stück Knochen entnommen, um den ebenfalls zerstörten Schienbeinkopf wieder aufzubauen, erst sieben Wochen später sind seine Bänder dran. Die Ärzte sind vorsichtig optimistisch, halten sich aber mit Prognosen zurück. Auch Erras kennt niemanden, den es ähnlich brutal erwischt hat wie ihn. "Es war ein Schock", sagt er, "die ersten Wochen waren schlimm". Die Gedanken, dass bei ungünstigem Heilungsverlauf selbst die Sportinvalidität gedroht hätte, schiebt er einfach beiseite, versucht, sich nicht unterkriegen zu lassen.

"Es gibt natürlich Tage, die weniger Spaß machen"

Mentale Stärke ist wohl die Grundvoraussetzung für vollständige Genesung, von der er nicht mehr weit entfernt zu sein scheint. Jeden zweiten Tag ist er bereits auf dem Platz oder im Wald, jeder auch noch so kleine Fortschritt motiviert ihn zusätzlich, spornt ihn an. Auch wenn es manchmal schwer fällt. Ohne die lustigen Sprüche in der Kabine, ohne die Atmosphäre im Stadion. "Es gibt natürlich Tage, die weniger Spaß machen", sagt Erras, "aber ich bin im Rehazentrum in guten Händen".

Hier ein Facebook-Video zu Patrick Erras' Comeback-Bemühungen:

 

Er spürt Muskeln, die vorher einfach nur da waren. Sein rechtes Knie ist mittlerweile richtig belastbar, auch im Kopf scheint Erras bereit zu sein für sein Comeback. Richtungswechsel oder Sprünge kann er schon wieder, ab dem Trainingsauftakt Anfang Januar möchte er Teile des Programms mit der Mannschaft absolvieren. Sie fehlt ihm so. Bis er wieder nach Herzenslust in die Zweikämpfe ziehen kann, wird er sich noch gedulden müssen.

Der Amberger hat sein Comeback fest im Blick, freut sich auf dem Weg zurück auf den Zweitliga-Rasen bereits über "kleine Fortschritte".

Der Amberger hat sein Comeback fest im Blick, freut sich auf dem Weg zurück auf den Zweitliga-Rasen bereits über "kleine Fortschritte". © Sportfoto Zink / WoZi

"Im Februar, spätestens im März möchte ich richtig Fußball spielen", sagt Erras, ein Jahr hätte er dann zuschauen müssen, wie sich sein Club ohne ihn schlägt. Er hängt am Verein, fast sein halbes Leben hat er beim 1. FC Nürnberg verbracht, seinen Vertrag haben sie kurz vor Weihnachten bis 2018 verlängert. Über die Zeit danach möchte Erras nicht reden. Es interessieren ihn nur die nächsten Tage und Wochen. "Perfekt gelaufen" sei es für ihn, damals, nachdem ihn Rene Weiler in der U21 entdeckt hatte. Und auch jetzt, in der zeit- und kraftraubenden Reha. "Man freut sich auch über kleine Fortschritte", versichert Erras.

5 Kommentare