Urs Meier: "Der Videobeweis muss transparenter werden"

17.4.2018, 06:00 Uhr
Mit dem Videobeweis kann sich der ehemalige Schweizer Top-Schiedsrichter Urs Meier einfach nicht anfreunden.

© Marius Becker/dpa Mit dem Videobeweis kann sich der ehemalige Schweizer Top-Schiedsrichter Urs Meier einfach nicht anfreunden.

Herr Meier, wie bewerten Sie den Einsatz des Videobeweises in der Fußball-Bundesliga? 

Urs Meier: Wir sprechen immer noch von einer Testphase. Das heißt: Man muss sich darüber im Klaren sein, dass es immer wieder Schwierigkeiten, Unklarheiten und Fehler geben wird. Nach einem schwierigen Start mit zu vielen Einsätzen des Videoassistenten und auch mit zu vielen Fehlern hat sich dies nun in der Rückrunde etwas normalisiert und die ganz großen Aufreger sind weggeblieben. Dennoch wünsche ich mir, dass die Fehler noch weniger werden und der Videobeweis nur bei ganz krassen Fehlentscheidungen des Schiedsrichters oder seiner Assistenten eingesetzt wird.

Hat man den Videobeweis in Deutschland noch nicht lange genug getestet? 

Meier: Ich denke, dass die Testphase nun abgeschlossen werden muss und dann von der Fifa ein klares Zeichen kommen muss. Sie muss entscheiden, ob und in welchen Situationen es mit dem Videoschiedsrichter in Zukunft weitergehen soll. Falls ja, muss sie das Regelwerk anpassen.

Was muss sich ändern, damit die Diskussionen unter Spielern, Verantwortlichen und auch Fans weniger werden? 

Meier: Der Videobeweis muss transparenter, klarer werden und die Zuschauer müssen die Entscheidungen nachvollziehen können. Das könnte man umsetzen, in dem man die Szenen als unterhaltendes Element auf der Großleinwand zeigt und so den Fan mit ins Boot holt und in die Entscheidung mitnimmt. Wenn dies als Spannungsmoment genutzt wird, dann hat der Zuschauer einen Mehrwert und er wird sich auch nicht über die zusätzliche Zeit ärgern. Dies funktioniert im American Football und im Rugby schon längst mit Erfolg.

In der kommenden Saison soll der Videobeweis in der 2. Bundesliga getestet werden. Vereine wie Duisburg oder Bochum sind dagegen, weil damit auch viele Kosten verbunden sind. Können Sie die Kritik  nachvollziehen?

Meier: Ja, das kann ich nachvollziehen, schließlich läuft ja immer noch die Testphase in der 1. Bundesliga. Erst wenn diese abgeschlossen und ausgewertet ist und dann die Entscheidung gefallen ist, den Videobeweis auch dauerhaft einzusetzen, ist die Zeit gekommen, ihn auch in der 2. Liga zu implementieren. 

Sie sind ja ein Beobachter des internationalen Fußballs. Was funktioniert in Ländern wie Italien besser als in Deutschland? 

Meier: In Italien ist der Videoassistent zwar mit dem Schiedsrichter-Team vor Ort (Anm. der Redaktion: Der Videoassistent sitzt im Übertragungswagen vor dem Stadion), was schon ein großer Vorteil ist. Noch besser wäre es, wenn er im Stadion sitzen würde und das Spiel auch live sehen könnte. Er sollte ins Spiel, in die Atmosphäre, in das Geschehen integriert werden und würde damit noch bessere Entscheidungen treffen, da bin ich mir zu 100 Prozent sicher.

Nach all der Kritik und all den Fehlern: Macht ein Videobeweis bei der WM so überhaupt Sinn? 

Meier: Für mich ist die Testphase noch nicht definitiv abgeschlossen, die Auswertungen noch nicht vollzogen, die Fifa geht also mit einem noch nicht ausgereiften Produkt in die WM und das ist ein Risiko. Im Fall des Videobeweises für Tor oder nicht Tor hat die Fifa 2005/2006 die Notbremse gezogen und hat ihn nicht während der WM in Deutschland eingesetzt, obwohl man ihn eigentlich wollte. Erst acht Jahre später war dann die Technik soweit, dass sie an der WM 2014 erfolgreich eingesetzt werden konnte. 

Würden Sie sich weitere Hilfsmittel für Schiedsrichter im Profifußball wünschen? 

Meier: Das wichtigste Hilfsmittel für die Schiedsrichter wäre endlich eine Professionalisierung - und zwar nicht nur auf finanzieller, sondern auch auf struktureller Ebene. Die Schiedsrichter müssten in der Bundesliga endlich das 19. Team sein, mit all den Infrastrukturen, die auch Fußballmannschaften haben - also Trainer, Assistenztrainer, Physiotherapeuten, Konditionstrainer, Psychologen. Ich meine damit aber auch eine professionelle Aufarbeitung der Spieltage, Regeneration, Schulung des Spielverständnisses, Praxis-Trainings auf dem Feld mit Fussballspielern und Vorbereitung der nächsten Spielrunde. Dies würde die einzelnen Schiedsrichter und deren Ansehen steigern und damit den Einsatz des Videoschiedsrichters verringern. Es wäre für alle eine Win-win-Situation.

Seit der Saison 2010/11 werden in der Champions League Torrichter eingesetzt. Hat sich diese "Revolution" etabliert und sollte man darüber auch in der Bundesliga nachdenken?

Meier: Ich war von Beginn an ein Gegner dieser Torrichter, da sie das Problem Tor oder kein Tor nicht lösen und zudem für die Kompetenzverteilung im Team nicht förderlich sind. Oft nimmt der Schiedsrichter eine oft falsche Position ein, weil auf der anderen Seite der Torrichter steht, dadurch sieht er die Aktion im Strafraum nicht richtig, der Torrichter entscheidet dann aber auch nicht und schon haben wir eine Fehlentscheidung. Wir sollten wieder die Schiedsrichter stark machen, sie endlich professionalisieren. Dies wäre generell der erste Schritt, bevor wir von Videoschiedsrichtern und Torrichtern sprechen. 

Würden Sie den Videobeweis in Deutschland wieder abschaffen?

Meier: Nein, das würde ich nicht, da der Ruf nach dieser Technik und nach mehr Gerechtigkeit zu groß ist. 

Sind Sie eigentlich froh darüber, dass Sie zu einer Zeit Schiedsrichter waren, in der es noch keinen Videobeweis gab? 

Meier: Ja, denn Fehler gehören nun mal dazu. Ohne Fehler werden keine Tore erzielt, ohne Fehler fehlt dem Spiel und dem Sport etwas und es sind ja genau diese Momente, welche Verlierer, aber auch Helden, erzeugen. Das sind Emotionen, die den Fußball ausmachen. 

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