Chemie statt Natur: Stevia ist für die Bio-Branche tabu

20.2.2017, 13:55 Uhr
Chemie statt Natur: Stevia ist für die Bio-Branche tabu

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Udo Kienle forscht seit gut 30 Jahren über die Pflanze aus Südamerika. Der Agrarwissenschaftler an der Uni Hohenheim weiß, dass Stevia auch in Paraguay bis Ende der 90er Jahre wenig verbreitet war. Und er erklärt, warum das Süßmittel bislang keinen Durchbruch auf dem Lebensmittelmarkt erzielt hat. Zu teuer, zudem oft mit Zucker gemischt in Joghurts oder Bonbons.

Außerdem hat die EU die täglich vertretbare Höchstmenge auf zehn Milligramm pro Kilo Körpergewicht beschränkt. Diese Grenze ist für den Verbraucher schwer zu berechnen, für die Industrie schwierig zu handhaben. Grundlage für das Limit ist der Umstand, dass die Darreichung bei Labortieren zu Unverträglichkeiten, zum Abmagern oder gar zur Unfruchtbarkeit führte. Insgesamt reichen die Untersuchungen nicht aus, langfristige Schädigungen beim Menschen auszuschließen.

Der Coca-Cola-Konzern hatte die Zulassung von Stevia wesentlich mit vorangetrieben und steht nach wie vor dazu. "Stevia ist ein tolles alternatives Süßmittel", sagt Unternehmenssprecherin Carolin Seitz. Als Paradebeispiel nennt sie das Getränk "Coke life", das je zur Hälfte mit Stevia und Zucker gesüßt wird. "Wir rechnen auch langfristig mit Stevia." Sie räumt allerdings ein, dass "die geschmackliche Komponente" durchaus schwierig ist. Denn dieses Kraut ist in Reinkultur ungenießbar, und selbst als Extrakt je nach Sorte schlimmstenfalls derart bitter, dass es das ganze Menü verderben kann. Also gibt es an die 40 verschiedene Extrakte aus dem Chemielabor. Der Süßstoff wird in mehreren Schritten aus dem Gewächs extrahiert und anschließend gereinigt. "Dabei gehen etwa 90 Prozent der Inhaltsstoffe verloren", erläutert Agrarwissenschaftler Kienle.

Das erklärt auch, warum es keine Bio-Steviasüßstoffe geben kann. Selbst wenn die Pflanze unter streng ökologischen Methoden angebaut wird, ist ihre Verarbeitung ein so hochchemischer Prozess, dass die Bio-Qualität unvermeidlich verloren geht.

Fern von Natürlichkeit

Das sei genau richtig so, denn mit Natürlichkeit hätten die Stevia-Extrakte nichts zu tun, sagt Daniela Krehl von der Verbraucherzentrale Bayern. Ebenso in Ordnung findet sie, dass die EU mit der Zulassung lange gewartet, und sie dann eingeschränkt erlaubt hatte. "Dahinter standen nicht die Interessen der Zuckerindustrie", sagt Krehl. Die Vorsicht aus Brüssel habe vielmehr dem Verbraucherschutz gedient. In der konventionellen Lebensmittelbranche müssen die Hersteller die Steviasüße als Zusatzstoff E 960 kennzeichnen. Folglich ist das Pulver laut EU-Ökoverordnung bei Bioprodukten nicht erlaubt. Insgesamt glaubt die Verbraucherschützerin, dass Stevia-Produkte eher auf dem Rückzug sind.

Doch bei Coca-Cola werden immer neue Vorzüge entdeckt. "Der Trend geht nicht zurück", sagt Seitz. "Im Gegenteil kommt das Kochen mit Stevia immer mehr in Mode." Der große Vorteil sei, dass Steviolglycoside hitzebeständig sind, während die Süße bei Sacharin oder anderen kalorienfreien Süßstoffen zerfalle. Auf die Dosierung freilich müsse man aufpassen. Der Eigengeschmack von bitter über mentholig bis lakritzig stelle das größere Problem dar.

Und mögliche gesundheitliche Nachteile? "Da gibt es so viele verschiedene Studien, man müsste noch weiter in die Tiefe gehen. Doch die Forschung geht weiter", sagt die Coca-Cola-Sprecherin.

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