Wie Werner von Siemens einen Weltkonzern schuf

29.11.2016, 11:43 Uhr
Wie Werner von Siemens einen Weltkonzern schuf

© Foto: Siemens-Museum München

Die alteingesessenen Nürnberger kennen ihr Trafo-Werk. Zweimal schon stand es fast vor dem Aus – heute produziert es immer noch Siemens-Transformatoren, die allerdings nicht mehr zu vergleichen sind mit ihren Vorgängern. Fest steht: Derzeit sieht die Auftragslage prächtig aus.

Auch das Zählerwerk hat im Volksmund seinen alten Namen behalten, obwohl längst schon keine Zähler mehr gefertigt werden. Um Energieübertragung geht es dort in der Humboldtstraße inklusive dem digitalen Stromnetz der Zukunft. Die zwei Fabriken sind Beispiele dafür, wie sehr Siemens noch die gewerblichen Areale der Südstadt dominiert, nachdem sich andere Metallunternehmen lange schon verabschiedet haben.

"Ich arbeite beim Schuckert"

Von früheren Arbeitergenerationen war zu hören: "Ich arbeite beim Schuckert." Das kommt nicht von ungefähr. Denn das Starkstromgeschäft erschloss sich nach und nach Sigmund Schuckert, der  1873 auf der Schwabeninsel beim Trödelmarkt zunächst Nähmaschinen reparierte.

Zwar gab es damals den Begriff noch gar nicht, doch beide - Siemens wie Schuckert - gelten nach heutigen Maßstäben als Start-ups. In gewisser Hinsicht schließt sich so ein Kreis: Auch heute hat sich Siemens eine ganze Reihe von Start-ups  herangezogen, um ausgetretene Denkpfade zu verlassen und die Innovationskraft mit frischem Blut zu stärken. Zusammengefasst sind sie bei Siemens unter dem Dach "next47", eine Reminiszenz an das Gründungsjahr 1847.

In Nürnberg kam 1888  der Bau einer neuen Fabrik an der Landgrabenstraße hinzu. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde Schuckert eine große Nummer in seiner Branche: Schlag auf Schlag baute und betrieb seine Firma Elektrizitätswerke und Verteilernetze zur Stromversorgung von Kommunen. Nachdem Schuckert aus der Unternehmensleitung ausgeschieden war, kam es 1893 zur Umwandlung in eine AG (Elektrizitäts-Aktiengesellschaft vormals Schuckert & Co., Nürnberg, zur EAG). Die Fusion folgte 1903 zu den Siemens-Schuckert-Werken.

Es gab jedoch nicht nur Schuckert, für Werner von Siemens war Johann Georg Halske schon früher ein extrem wichtiger Partner im Schwachstromgeschäft. Bedeutender noch: Auf die Geschäftsverbindung mit Halske bezieht sich das Siemens-Gründungsjahr 1847. Der erfahrene Berliner Präzisionsmechaniker sollte für Siemens den Zeigertelegraphen bauen. Der risikoscheue Halske trat der ersten großen Erfindung aus der Siemens-Werkstatt durchaus skeptisch entgegen, ließ sich aber überzeugen.

Er tat es, Siemens war entzückt und entwickelte sein Zeigertelegraphen-Projekt mit Elan weiter. Und weil er mit Halske in der Telefonie so fruchtbar zusammenarbeitete, gründete er mit ihm ein Gemeinschaftsunternehmen: Siemens & Halske. Das Joint Venture war, so absurd es klingen mag, zu diesem Zeitpunkt noch ein Konkurrent von Schuckert, also der EAG, bis dato noch ohne Siemens-Beteiligung.

Die Einführung der Telegraphentechnik fiel in eine aufregende Zeit: Die Märzrevolution von 1848 brachte es mit sich, dass die Experten der Prüfungskommission bei der Vorführung vor Aufständischen flüchteten. Für viel Aufregung sorgten auch Pannen: Mal mussten elektrostatische Aufladungen ausgeschaltet, mal die Kabel besser vor Feuchtigkeit geschützt werden. Bei Letzterem erwies sich Werner von Siemens’ geschäftliche Bündnispolitik wieder als Segen. Er arbeitete schon lange mit einem Gummifabrikanten zusammen, der die Kabelisolierung schnell optimierte.

Die EAG sollte sich zu einem führenden Großunternehmen der  Starkstromtechnik entwickeln. Bis 1900 errichtete sie europaweit 120 Elektrizitätswerke – mehr als die beiden Konkurrenten Siemens & Halske und die Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft (AEG) zusammen. Die EAG war jedoch nur ein Teil des gesamten Imperiums, das Werner von Siemens mit seinen Brüdern und Partnern aufbaute. Es führte zu einem Konzern, der heute allein in der Metropolregion Nürnberg 44.000 Mitarbeiter zählt – eine Belegschaftsdichte, die weltweit ihresgleichen sucht.

Anfänge in Erlangen

Zu der Erfolgsgeschichte gehört standortbezogen unbedingt Erlangen. Was vom Alten übrigblieb, ist an der Gebbertstraße zu besichtigen. Dort liegen  die  Anfänge der Medizintechnik und der Geschichte von Siemens Healthineers.

 Im einstigen Maschinensaal der Firma Reiniger, Gebbert & Schall (RGS), einer der Vorgängerfirmen von Siemens Healthcare, hat seit 2014 das Siemens MedMuseum samt Archiv sein Zuhause. Die 1877 von Erwin Moritz Reiniger gegründete Werkstatt für optische, physikalische und elektromedizinische Geräte hat ihren Sitz zunächst am Schlossplatz im Herzen Erlangens.

Gerade die Gesundheitssparte des Konzerns in Erlangen und Forchheim ist großen Veränderungen unterworfen. Es ist wohl das Verdienst des einstigen Vorstandschefs Heinrich von Pierer, dass die Medizintechnik entgegen dem Wunsch der Shareholder einst nicht verkauft wurde. Seit kurzem steht der Beschluss des Vorstands, die mittlerweile eigenständig aufgestellte Gesellschaft an die Börse zu bringen.

Das Erfolgsrezept des Pioniers: Die Familienbande lebendig halten und mit einem Geflecht von Partnerschaften all das wettmachen, was ihm selbst fehlte: technisch-naturwissenschaftlicher Sachverstand auf manchen Gebieten – und Geld, "das verdammte Geld".

Verwandte Themen


1 Kommentar