Jugendstilvilla für die Herren Offiziere

8.4.2010, 00:00 Uhr
Jugendstilvilla für die Herren Offiziere

Das Gebiet nördlich der Reichstadt Nürnberg wurde vor allem als Gartenland genutzt. Es gab keine Dörfer und Herrensitze. Nach dem Übergang an Bayern entstand die Landgemeinde »Gärten hinter Veste», ein künstliches Gebilde ohne eigenen Ortskern. 1825 wurde der Ort schließlich nach Nürnberg eingemeindet. Nach 1890 wurden in der Nordstadt vor allem Villen und Wohnhäuser des gehobenen Bürgertums erbaut.

Beginnen wollen wir am ehemaligen Dienst- und Wohnsitz des kommandierenden Generals des III. Bayerischen Armeekorps in der Bucher Straße 28. Das Militär hatte im Kaiserreich einen sehr hohen Stellenwert und die Offiziere mussten gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen. Das Jugendstilgebäude wurde von 1905 bis 08 erbaut und mit modernster Technik ausgerüstet. Dazu gehörten eine Dampfkesselheizung, eine moderne Küche mit Speiseaufzug und eine zentrale Staubabsauganlage, die es ermöglichte per Rohrleitung den Staub aus jeder Räumlichkeit des Gebäudes zu entfernen. Weiterhin gehörten Gästezimmer und ein Tanzsaal zur Gebäudeausstattung. Auf dem 5200 Quadratmeter großen Grundstück befanden sich zudem ein Wirtschafts- und ein Wachgebäude. Die großzügige Gartenanlage mit Pergola und Wasserbecken wurde für Sommerfeste genutzt. Heute ist hier das Staatliche Bauamt Erlangen-Nürnberg untergebracht.

In der Archivstraße befindet sich das erste öffentliche Gebäude der Nordstadt, das Staatsarchiv Nürnberg. Es wurde 1880 nach dem Vorbild des russischen Staatsarchivs in Moskau im Stil der Neorenaissance errichtet. Nach dem Übergang an Bayern gingen die Altbestände des Stadtarchivs der Reichsstadt Nürnberg an das Königreich Bayern über und befinden sich deshalb heute im Staatsarchiv. Insgesamt zählt man über 36 Regalkilometer an Archivalien aus 15 Jahrhunderten. Das älteste Dokument ist eine Notenhandschrift aus dem 6. Jahrhundert. Hier befinden sich auch Abschriften der Akten zu den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen.

Der heutige Archivpark war früher Teil eines Privatparks des Mitbegründers und ersten Direktors der Ludwigseisenbahn, Georg Zacharias Platner (1782–1862). Er ließ 1817 an der Bucherstraße einen öffentlichen Park im Englischen Stil anlegen, der auch als Platnersanlage bekannt wurde. Kurz vor seinem Tod verkaufte Platner seinen Garten an die Gesellschaft Colleg, die das Gartenhaus in der Folgezeit für ihre Vereinszwecke nutzte. 1941 erwarb die Stadt das Areal und gab es nach dem Krieg für die Öffentlichkeit frei. Aus den Resten der Platnersanlage entstand der heutige Friedrich-Ebert-Platz.

Am Nordende des Archivparks befindet sich ein verstecktes Garten- und Kutscherhaus, das zur Villa des Fabrikbesitzers Ferdinand Seitz gehörte. Das Grundstück befand sich ab 1908 in jüdischem Besitz und wurde 1935 gewaltsam durch die SA besetzt. Am 2. 1. 1945 wurde die Villa zerstört. Nach dem Krieg scheiterten alle Wiederaufbaupläne und die Ruine wurde erst 1983 abgerissen. Der Garten wurde in der Folgezeit fast vollständig überbaut. Das Kutscherhaus (Pilotystraße 27 a) wurde in den letzten Jahren renoviert und überrascht durch seine außergewöhnliche Architektur.

In der Pirckheimerstraße stehen noch mehrere Villen aus der Zeit vor 1900. Bemerkenswert ist neben den Gebäuden mit den Hausnummern 9 und 14 vor allem das heute im Eigentum der Stadtmission stehende» »Julius-Schieder-Haus» in der Pirckheimerstraße 16. Die 1889 von Baurat Bernhard Solger im Stil der Neorenaissance errichtete Villa wurde ab 1924 als Logenhaus der jüdischen Freimaurer-Logen genutzt. Nach dem Verbot durch die Nationalsozialisten und der Beschlagnahme der Immobilie zog hier bis Kriegsende eine Dienststelle der Wehrmacht ein. Da die Stadtmission Nürnberg durch den Bombenkrieg fast alle ihre Räumlichkeiten einbüßte, wiesen ihnen die Amerikaner u.a. das ehemalige Logenhaus zu. Im Jahre 1955 erwarb die Stadtmission das Objekt und brachte hier ihren Sozialpsychiatrischen Dienst unter.

In der Pilotystraße 7 steht etwas versteckt die Villa des Architekten Ludwig Schmitz. Das Gebäude wurde 1894 in einem weitläufigen Gartengrundstück errichtet und 1908 um einen burgähnlichen Vorbau mit Zinnen erweitert. Jedes der acht Zimmer des Gebäudes wurde in einem anderen Stil eingerichtet. Neben einem altdeutschen Salon, dessen Vorbild im Germanischen Nationalmuseum zu bewundern war, gab es auch ein »modernes Zimmer» mit Jugendstilelementen.Das Gebäude gehörte zu den ersten in Nürnberg, die mit elektrischem Strom versorgt wurden. Ludwig Schmitz ging 1908 mit 50 Jahren in den Ruhestand, starb aber bereits 1924 an den Folgen einer Blutvergiftung. Die Erben verkauften den Familiensitz 1991 an eine Immobilienfirma, die den Garten mit drei sogenannten »Stadtvillen» bebauen ließ.

Zwischen Schweppermann- und Meuschelstraße befindet sich der Gebäudekomplex des ehemaligen Landesfinanzamts Nürnberg. Nachdem 1919 alle Finanzbehörden Reichsbehörden wurden, begann die Planung die vier Nürnberger Dienststellen in einem Gebäude zu zentralisieren. Der Neubau wurde in zwei Bauabschnitten realisiert. Zuerst wurden 49 Dienstwohnungen in einem markanten Rundbau in der Meuschelstraße errichtet. Das fünfstöckige Ämtergebäude wurde schließlich 1926 fertig gestellt. Es konnte 205 modern ausgestattete Büroräume, einen Saal, eine Bibliothek und die Dienstwohnung des Präsidenten aufweisen. Zur besseren Orientierung in dem unübersichtlichen Gebäude wurde jede Etage mit einem eigenen Farbton versehen. Nach dem 2. Weltkrieg befand sich in dem Gebäude die amerikanische Militärregierung. 1950 wurde das Ämtergebäude als Oberfinanzdirektion Nürnberg Sitz von vier kombinierten Landes- und Bundesbehörden. Seit 2005 ist hier das Bayerische Landesamt für Steuern untergebracht.

In der Nordstadt wurden nach 1900 neben der Bebauung im Stil des Historismus auch Jugendstilhäuser errichtet. Die Fassaden beeindrucken durch ihre Gestaltung, Farbenfreude und das reiche Dekor. Der Jugendstil hatte es in Nürnberg schwer als Baustil akzeptiert zu werden, da sich die Architektur traditionell an der mittelalterlichen Altstadt orientierte. Die Jugendstilarchitektur war in Nürnberg nur kurz stilprägend und erreichte zwischen 1906 und 1909 ihren Höhepunkt. Als ein herausragendes Beispiel der Nürnberger »Belle Epoque» sei das Eckhaus Meuschelstraße 34 genannt, das 1906 erbaut wurde. Die Fassade zeigt die für den Jugendstil typischen floralen Stilelemente. Weitere Beispiele finden sich zwischen der Friedrichstraße und dem Kaulbachplatz. Der versteckt gelegene Schwanhäussergarten ist heute der einzige noch verbliebene große Privatgarten im Stadtteil »Gärten hinter der Veste». Die nicht öffentlich zugängliche Grünanlage kann ausschließlich während der Führungen von »Geschichte für Alle» besichtigt werden.

Der nächste Rundgang findet am 11. April 2010 um 14 Uhr statt. Der Treffpunkt ist vor dem Staatsarchiv in der Archivstraße.

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