Kreisels Kostbarkeiten

2.4.2011, 10:00 Uhr
Kreisels Kostbarkeiten

© Horst Linke

Ein Schaufenster in der Fußgängerzone gibt es nicht, nur ein Schild und eine Hinweistafel. Der Weg zu Klavier Kreisel führt unter dem Vorderhaus hindurch über einen schmucklosen Hof ins Rückgebäude. Im ersten Ausstellungsraum drängeln sich die Klaviere, weiter hinten beanspruchen ausladende Konzertflügel Platz.

Eine junge Frau streicht mit samtweichem Tuch Stäubchen von Instrumenten, die für Preise zwischen 2000 und 100.000 Euro verkauft werden. Luxuskörper sind es, die unerhörten Klanggenuss versprechen. In diesem Augenblick schweigen sie, spiegeln einander lediglich wider.

In sechster Generation verkaufen und reparieren die Kreisels Klaviere. Als Deutschland noch ein Flickenteppich war aus Königreichen, Fürstentümern und Freistädten und Richard Strauss gerade erst geboren, erhielt Konrad Kreisel die Erlaubnis, als Klaviermacher einen eigenen Betrieb zu eröffnen. Die Lizenz vom 11. November 1864 war der Beginn einer wechselvollen, inzwischen fast 150-jährigen Firmengeschichte.

Sie begann in Nürnberg und setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in Fürth fort. Los ging es mit dem Verkauf und einer Reparaturwerkstatt, später kam — zumindest für eine Weile — die Fertigung dazu. Die Arbeit fand Anklang: Im Jahr 1900 ernannte das königlich bayerische Hofmarschallamt unter Prinzregent Luitpold die Firma zum Hoflieferanten, später verkauften sich Kreisel-Klaviere in alle Welt. Doch es gab auch harte Rückschläge. War der Betrieb schon im Ersten Weltkrieg zum Erliegen gekommen, so wurde er im Zweiten Weltkrieg ganz ausgelöscht. Nach dem 2. Januar 1945 musste die Familie neu starten.

Sylvia Kreisel hat noch im Ohr, was ihr Schwiegervater Kurt Kreisel, der sich vor Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen hat, ihr schon mal sagte: „Mit zwei Eimern Werkzeug hab’ ich hier wieder angefangen.“ Nach einem kurzen Intermezzo in der Blumenstraße wurde die Rudolf-Breitscheid-Straße Firmensitz.

Sylvia Kreisel, die gerade 50 wurde, hat in die Familie eingeheiratet. Als ihr Mann Werner 1999 nach schwerer Krankheit starb, übernahm sie die Firma. Seitdem führt sie die Geschäfte von einem Büro aus, das nur durch eine Glaswand abgetrennt ist vom Verkaufsraum.

„Wir werden nie goldene Löffel benutzen“, sagt sie, „aber wir leben nicht schlecht.“ Am Standort der Firma stört die Chefin, „dass Parkplätze fehlen und dass man von außen kaum wahrgenommen wird“. Erhofft sie sich größeren Zulauf, wenn das benachbarte Fiedler-Areal, wie geplant, mit neuem Leben erfüllt, das nahe City-Center endlich aufgehübscht wird? Sylvia Kreisel zuckt mit den Schultern und mit Skepsis im Blick meint sie: „Ich frag’ mich eher, ob ich das noch erlebe.“ Ihr Sohn, Thomas Kreisel, weiß auch noch nicht, „ob es uns was nutzt, wenn links und rechts attraktive Einkaufszonen entstehen.“ Trotzdem: Umzugspläne, sagen beide, hegten sie nicht, auch wenn sich der Junior fest vorgenommen hat, wieder eine „kleine Manufaktur“ aufzubauen.

Vorerst ist die Werkstatt sein Reich. Im Stockwerk über Büro und Verkaufsraum hantiert der junge Klavierbaumeister zusammen mit vier Klavierbauern und einem Auszubildenden mit Druckluftschleifgerät und Backendrückzange — und schafft so manchen Missklang aus der Welt. Im Augenblick beugt sich Thomas Kreisels dunkler Haarschopf über die Klaviatur eines Flügels, die, ausgebaut, seltsam nackt auf der Werkbank liegt. „Es geht darum“, erklärt der 30-Jährige, „dass 88 Tasten nachher genau gleich funktionieren.“ Das erfordert Millimeterarbeit beim Regulieren, Nivellieren, Justieren — ob es um die winzigen Tastenzwischenräume geht oder um andere Stellen der komplexen Klangmechanik.

Muss man Piano spielen können, um ein Piano zu reparieren? Thomas Kreisel blickt auf, lacht. „Man muss nicht, aber fragen Sie halt mal einen Automechaniker, ob er einen Führerschein braucht...“ Kann aber ein Klavierbaumeister Klavierkonzerte genießen? Thomas Kreisel zögert. „Man kann“, sagt er dann. „Aber wenn Joja Wendt in der Comödie seinen Flügel traktiert, es war übrigens ein klasse Konzert, und auf einmal der vierte und fünfte Oberton jammert, dann ist das für mich halt wie Senf in der Donauwelle.“

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