1990: Ein Zwergflusspferd büxt aus

22.8.2010, 00:00 Uhr
1990: Ein Zwergflusspferd büxt aus

© NN-Archiv

Mitte August gastierte der deutsch-schweizerische Zirkus „Fliegenpilz“ in Fürth an der Ludwigsbrücke. Zu seinen tierischen Stars gehörte auch Elsbeth, die das Unternehmen zusammen mit ihrer Hippo-Kollegin Gloria erst kurz zuvor vom Duisburger Zoo gekauft hatte. Als ihr Pfleger sie nach der Ankunft vom Transportwagen zum Bassin bringen wollte, geschah es. Ein Moment der Unaufmerksamkeit genügte dem schlauen Tier zur Flucht in die nahe Pegnitz.

Die eilends alarmierte Feuerwehr rückte sogleich mit einem ganzen Ausbildungskurs an, doch die ersten Fangversuche scheiterten. „Zweimal konnte einer unserer Leute das Tier packen und sich draufwerfen“, berichtete der Sprecher der Wehr den Fürther Nachrichten. Doch Elsbeth riss sich jedes Mal wieder los, 200 Kilo glitschiges Flusspferd waren kein Pappenstiel. Als dann noch ein Schlauchboot mit röhrendem Motor anrückte, tauchte sie vollends unter und verschwand flussabwärts. In den Tagen darauf wurde sie mehrmals gesichtet, am Montag war sie bereits am Heusteg in Stadeln angelangt. Mittlerweile säumten Hunderte Schaulustige die Pegnitzufer, quittierten jedes Auftauchen mit Beifall und behinderten dabei die Fangversuche. Denn mittlerweile war den Häschern klar, dass sie nur an Land eine Chance hatten, im Wasser war Elsbeth zu flink.

Indessen war die Kunde von Elsbeths Eskapaden weit gedrungen. Fürth war in aller Munde, Reporter und Filmteams aus der ganzen Republik zertrampelten die Stadelner Wiesen. Sogar die Tagesthemen berichteten. Manche verhedderten sich allerdings in den Fallstricken der komplexen fränkischen Geografie, so bezeichnete die Frankfurter Allgemeine Zeitung den Schauplatz als ein „Naturschutzgebiet der Regnitz, einem Seitenfluss der Pegnitz“.

Doch diese Feinheiten scherten Elsbeth, die in Stadeln offenbar flusspferdgerechte Lebensbedingungen gefunden hatte, nicht. „Sie hat sich voll akklimatisiert und macht einen sehr munteren und vitalen Eindruck“, berichtete ihr Pfleger. Eingefangen werden musste sie dennoch, bloß wie? Betäubungspfeile schieden aus, die Gefahr des Ertrinkens wäre zu groß.

Also versuchte man es mit Überrumpelung. Die Fänger bezogen Posten am seichten, rechten Flussufer, das Elsbeth in den Tagen zuvor als Ruheplatz ausgewählt hatte. Doch Elsbeth roch den Braten und erklomm zur allgemeinen Überraschung das zwar steile, aber unbewachte linke Ufer. Sodann wechselte man zur Einkesselungstaktik. Reißfeste Hubschraubernetze der US-Streitkräfte wurden durch die Regnitz gespannt, um zu verhindern, dass Elsbeth weiter flussabwärts entfleuchen konnte, dann begann man mit der Einkreisung. „Doch das Tier ließ sich auf solche Tricks nicht ein und machte sich flussaufwärts davon“, berichteten anerkennend die FN. Und weiter: „Nach einem halben Kilometer war es allerdings so erschöpft, dass es sich — ganz gegen seine sonstige Gewohnheit — am helllichten Tag ein Plätzchen zum Schlafen auf der Uferböschung suchen wollte.“ Dort endete Elsbeths einwöchige Flucht im Netz der Häscher. Gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf hatte ein Gewitter eingesetzt, die Temperatur sank und der Pegel der Regnitz stieg schnell.

So war die Erleichterung über den geglückten Fang groß, denn das Gewitter hätte für das Zwergflusspferd gefährlich werden können. Elsbeth wurde vom Tierarzt untersucht und, von leichten Hautblessuren abgesehen, für gesund befunden.

Der Hippo-Rummel war damit aber noch nicht zu Ende. FN-Leser dichteten („Streng wissenschaftlich unbekannt: Nilpferd schwimmt durchs Frankenland...“) und Tierschützer protestierten. Elsbeth-Kinderbücher erschienen, die Fürther Bildhauerin Gudrun Kunstmann widmete ihr eine Bronzeplastik.

Elsbeth kehrte mehrmals mit dem Zirkus „Fliegenpilz“ nach Fürth zurück und wurde jedes Mal begeistert empfangen, hatte sie doch den Namen der Stadt in alle Welt getragen. Einmal wurde sie sogar zur Audienz ins Rathaus geladen und von OB Wilhelm Wenning mit Karotten bewirtet. „Elsbeth und Fürth sind in untrennbarer Symbiose im weltweiten Medienruhm verbunden. Das tut der Fürther Seele gut“, spottete die Süddeutsche Zeitung.

Zum Wappentier anvanciert

Elsbeth, mittlerweile zum Wappentier des Zirkus Fliegenpilz avanciert, mehrte in den Jahren nach der Fürther Flucht ihren Ruhm als Ausbrecherkönigin. In Bonn rannte sie eine Radlerin über den Haufen, auch in Düsseldorf und Bremen büxte sie aus. Diese kurzen Fluchten wirkten allerdings ein wenig inszeniert, schließlich wussten die Verantwortlichen, dass die Medien nach so etwas lechzten. Einen Beigeschmack hatte auch das erstaunliche Phänomen des „variablen Geburtstags“. Bei Gastspielen lud man gerne medienwirksam den Bürgermeister zum „Geburtstag“ in die Manege, so auch in Nürnberg Ulrich Maly, der Elsbeth 2003 Mitte August mit Möhrentorte gratulierte. OB Peter Schönlein hatte ihr 1996 Mitte Oktober die Torte gereicht, ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

In den letzten Jahren verlor sich Elsbeths Spur, mit dem Zirkus „Fliegenpilz“ ging es bergab. Wenn man den einschlägigen Zirkus-Foren im Internet glauben darf, dann ist Elsbeth 2008 verstorben. Vielleicht ist sie ja auch nur erfolgreich ausgebüxt.
 

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