„Europafränkische Zigeuner“

25.10.2013, 15:30 Uhr
„Europafränkische Zigeuner“

Die Landtagswahl vor einigen Wochen hat wieder einmal den Fokus auf die Franken gerichtet, denn „Die Franken“ präsentierten sich als neue Partei, die zwar in allen drei Regierungsbezirken nur auf 2,2 Prozent der Stimmen kam, aber immerhin künftig in Ober- und Mittelfranken je einen Bezirksrat stellt.  Und weil das Land zwischen Aschaffenburg und Wunsiedel, Coburg und Weißenburg so flächengroß ist wie Belgien, bevölkerungsmäßig so groß wie Norwegen oder Irland, verlangt die Frankenpartei ein eigenes Bundesland, wenn es je einmal zu einer Reform der Bundesländer kommen sollte.
Um diesen politischen Aspekt Frankens geht es Godehard Schramm, der 2003 den Wolfram-von-Eschenbach-Kulturpreis des Bezirks Mittelfranken bekommen hat, in seinem neuen Buch natürlich nicht, höchstens am Rande. Denn: geht es um das Lebensgefühl der fränkischen Stämme sind auch gleich die Bayern mit im Boot, die stets dominant erscheinen und die Franken in Kleinmut versinken lassen.
In acht Kapiteln, an denen er sechs Jahre geschrieben hat, begegnet der Vielreisende seinen Landsleuten, die er einmal als „europafränkische Zigeuner“ charakterisiert. Er rühmt die „Hafenkraft der Heimat, die untrennbar mit dem Landgrund Franken verbunden ist“. Er pflichtet dem Abenberger Turmschreiber Reinhard Knodt bei, der den Franken „einen gut ausgeprägten Hang zur lebenslangen Tiefstapelei“ nachsagt.  Natürlich ist der feinsinnige Beobachter Godehard Schramm (er wird an Heiligabend 70) gegen jede aufgesetzte

Volkstümelei und kitschig daherkommendes Brauch­tum, das sich beispielsweise äußert in alten Dreschflegeln, die an den Wänden so mancher Landgasthöfe hängen.  Frei nach Jean Paul, einem großen fränkischen Dichter, hat er eine „Selbsterlebensbeschreibung“ angefertig. Der Autor ist von 1948 bis heute unzähligen Menschen begegnet, knorrigen Bauern ebenso wie hochgeistigen Philosophen. Wenn er die drei Stämme nebeneinander stellt, dann stellt er fest, dass der Oberfranke vom Selbstbewusstsein her stärker ist als der Mittelfranke. Er kennt den Menschenschlag, denn er ist in Thalmässing aufgewachsen, lebt aber – sofern er nicht unterwegs ist – seit Jahrzehnten in Nürnberg und Neidhardswinden, einem Ortsteil von Emskirchen.
Auf seiner Lebensreise ist er auch in Gunzenhausen angekommen, wo übrigens sein Großvater von 1900 bis 1906 als Gendarm dienstverpflichtet war. Es gereicht ihm zu höchster Ehre, dass er den Altmühl-Boten als eine Zeitung mit „lokalem Weltblick“ rühmt,  „mit überraschenden Blicken weit über den lokalen Tellerrand hinaus“.  Und was ist ihm beim Spaziergang noch aufgefallen: der Glockenspielturm, der ihm gut gefallen hat, und die traditionelle Kopfbedeckung der Diakonissen, von denen es hier dank der Hensoltshöhe mehr gibt als anderswo.  Denkt er an Treuchtlingen, dann fällt ihm ein, dass hier nach dem Krieg sein Freund Willibald Puchner, der Präsident der Nürnberger Kunstakademie, das Rathaus aufgebaut hat, während im benachbarten Ellingen die Kunstwerke ausgelagert waren. Auf „eine Überraschung nach der anderen“ ist er im Römermuseum Weißenburg gestoßen. „Es ist, als ob sie den Himmel zum Klingen bringen“, sagt er über die Buben des weltbekannten Windsbacher Knabenchors. Den Dinkelsbühlern hält er vor, dass sie das Geld der Touristen gern nehmen, sie aber als „befristete Besatzer“ empfinden.
Nicht allein der pure Lokalpatriotismus zwingt zu einer Korrektur: Nicht Dr. Werner Dollinger ist der geistliche Vater der fünfstelligen Postleitzahl, sondern „unser“ Richard Stücklen, und der Neustadter Unionspolitiker kann auch nicht die Vaterschaft der Anschnallpflicht (1976) für sich in Anspruch nehmen.
Godehard Schramm erscheint in seinem Buch als ein „Gesamtfranke“, wobei die Einordnung ein Unding ist, denn schließlich gibt es ja „den Franken“ nicht. So heterogen die Geschichte des Landes, so vielschichtig ausgeprägt sind seine Menschen. Den gesamtfränkischen Anspruch erfüllt sein Buch auch dadurch, dass es in seinen Kapiteln
regional bunt durcheinandergeht, typisch fränkisch eben.
Godehard Schramm: „Eigensinnig. Mein Franken“, 328 Seiten, Verlag St. Michaelsbund München, ISBN 978-3-943135-18-3, 19,90 Euro.

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