Zwei Archäologen der Fantasie

16.5.2007, 00:00 Uhr
Zwei Archäologen der Fantasie

© Distler

Das fängt schon bei der Definition des Gegenstandslosen an, die voraussetzt, dass man eindeutig bestimmen kann, was ein Gegenstand ist. Denn selbstverständlich hat der Bildhauer Wurmer einen Gegenstand, wie er konkreter nicht sein könnte: den Baumstamm, aus dem er seine Plastiken mit der Kettensäge ohne weitere Ergänzungen herausschneidet. Der ursprüngliche Stamm bleibt als virtuelle Realität gegenwärtig.

Holz ist ein lebendiger Werkstoff und jeder Baum ein Individuum. Joseph Stephan Wurmer verwendet Ahorn, Erle, Linde, Pappel, Weide und sogar Mooreiche. Sie alle unterscheiden sich durch Farbe, Maserung, Härte, Struktur der Oberfläche, Dichte und Lebensalter. Letzteres gilt besonders für die Mooreiche, ein prähistorisches Material, das 10 000 Jahre in der Tiefe gelagert hat.

Aus Stämmen und Blöcken sägt Wurmer streng geometrisierte Gebilde, die sich aber nicht an den Gesetzen der sphärischen Trigonometrie orientieren, sondern eher an die fantastischen Konstruktionen des europäischen Manierismus im 16. Jahrhundert erinnern: Hohlkugeln, deren löchrige Außenfläche mit Formen einer «gefühlten Geometrie» gestaltet ist.

Hohlräume, die durch rigorose Reduzierung des Materials entstehen, spielen eine tragende Rolle. Ein ausgehöhlter Baumstamm wird zum durchlichteten Objekt. Die geschlossenen geometrischen Körper öffnen sich in Ein- und Ausbuchtungen, Faltungen, allesamt vorgetäuschte technische Formen und Prozesse, die etwas Illusionistisches an sich haben, zugleich aber keinerlei technischen Funktionen gehorchen.

Den Maler Herbert Winkler verbindet mit seinem Ausstellungspartner die Entdeckung fantastischer Entwürfe in den geometrischen Ordnungen. Anders als der Bildhauer, der daraus Konstruktionen entwickelt, ist sein Verhältnis zur Geometrie ein rein spielerisches. Ihre wiederkehrenden Bauelemente sind nur in Andeutungen zu erkennen, Reminiszenzen an die von der abstrakten Malerei entwickelten Ordnungen.

Herbert Winkler, im Hauptberuf Biologie- und Chemielehrer, arbeitet auch in seiner lebenslangen Leidenschaft für die Malerei als Experimentator mit Farben und Formen. Autodidakten zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie weder von Vorurteilen noch Doktrinen geplagt sind. Und so entlarvt Winkler fast nebenbei die serielle konstruktivistische Bildproduktion als Mimikry: Es geht dort stets um das eine absolute Bild, das nie gemalt werden kann. Winkler löst es unbekümmert um das verborgene Ideal in eine endlose Folge von Einzelbildern auf.

Winkler malt fast manisch gegen die vergehende Zeit. Und in dieser Gegenwart der Zeit im Werk steckt auch eine Verwandtschaft mit dem Bildhauer. Beide sind Archäologen der Fantasie: Winkler zitiert aus der Geschichte der Moderne, Wurmer aus der Lebensgeschichte seiner Baumstämme, die bis in die Prähistorie zurück reicht. KURT JAUSLIN

Herbert Winkler und Joseph Stephan Wurmer: «neben - ein - anders». Kunstmuseum, Nürnberger Str. 9; bis 10. Juni; geöffnet: Di. bis Fr. 11 bis 18 Uhr, Sa., So., Feiertage 11 bis 16 Uhr.