Eine Reise von der Haustür in die Welt und zurück

24.10.2007, 00:00 Uhr
Eine Reise von der Haustür in die Welt und zurück

© Hippel

«Erstaunt», sagt Godehard Schramm, sei er 1998 über das Echo gewesen, das insbesondere sein Stadtanzeiger-Beitrag hervorgerufen hatte. Von vielen Seiten sei ihm danach neuer «Stoff» von Leuten aus der Schweppermannstraße zugetragen worden. Zum Beispiel die Geschichte von der Zeitungsausträgerin, die einem gehbehinderten Mann jeden Morgen die NN in ein Körbchen legte, das dieser dann flugs nach oben zog.

Solche Schmonzetten sowie viele Beobachtungen und Episoden führten dazu, dass der «Nordstadt-Stapel» in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock der Schweppermannstraße 41 immer höher wurde. 2006 waren genug Manuskripte vorhanden, um das Buchprojekt «888 Meter Heimat: Nürnberg - von einer Straße aus erzählt» anzupacken.

Im Nürnberger Fachverlag Hans Carl ist das Werk nun erschienen, dessen Cover eine bizarre, digital veränderte Nürnberg-Foto-Collage von Herbert Liedel ziert. Durchaus passend zum auf 20 Kapitel verteilten Sammelsurium an kleinen und größeren Texten. Sie sind voller Gedanken, Begebenheiten sowie aktueller (U-Bahnbau) und historischer Widerhaken (Drittes Reich). Kaleidoskopartig wird der Bogen von der Haustür über die Burg hinaus in die Welt und wieder zurück gespannt.

Programmatisch hat der am 24. Dezember 1943 in Konstanz geborene Godehard Schramm ein Zitat seines Schriftsteller-Kollegen Manès Sperber vorangestellt, in dem es heißt: «Wir wohnen in einer Großstadt, aber tatsächlich leben wir in einer bestimmten Gegend, in einer Straße, in einem Haus.» Und gezielt erinnert Schramm im Buch an die russischen «Puppen in der Puppe», denen die «Heimatbilder» der Menschen gleichen würden - am Ende habe jeder eine «Seelenachse», zumindest für befristete Zeit.

Ungewöhnliche Form

Die Schweppermannstraße ist der rote Faden in diesem ungewöhnlichen Tagebuch, das zwar überhaupt nicht chronologisch verläuft, aber über den privaten Tonfall der Ich- und Wir-Perspektive ein packendes Kompendium an Schramm-, Stadtteil-, Stadt- und Zeitgeschichte liefert. Der 63- Jährige erweist sich einmal mehr als einfühlsamer, genau beobachtender Stilist, der mit humorvollen Seitenblicken («Ganz schön polyglott spricht hier der liebe Gott») nicht geizt.

Gegen Ende scheint ihm beim «Polychromen Capriccio-Finale» zwar der Gaul durchzugehen, indem ein bisschen viel auf engstem Raum durchgehechelt wird. Doch das Schöne an diesem Lesebuch ist die Chance, dass man jederzeit munter irgendwo darin schmökern kann. Kurz: Ein Muss - insbesondere für alle Noch- und Ex-Nordstädter! Jo Seuß

Godehard Schramm stellt «888 Meter Heimat» am 25. Oktober, 19 Uhr, bei einer Lesung im Baumeisterhaus, Bauhof 9, vor.