28. September 1969: Hexenkessel am Egidienplatz

28.9.2019, 08:09 Uhr
28. September 1969: Hexenkessel am Egidienplatz

© Ulrich

15.000 protestierende Menschen hatten den Egidienberg in einen Hexenkessel verwandelt. Als trotz Einsatzes von Wasserwerfern die Absperrungen durchbrochen wurden und es zu Ausschreitungen kam, sah Polizeipräsident Dr. Herold den einzigen Ausweg in der Aufhebung der Kundgebung, bevor sie noch begonnen hatte.

Dem Polizeipräsidenten muß bescheinigt werden, daß er alles getan hatte, um dem Gesetz zu genügen und der NPD die Durchführung ihrer Kundgebung zu ermöglichen. Er hatte insgesamt über tausend Mann Bereitschaftspolizei, 280 Mann der Schutzpolizei und hundert Kriminalbeamte eingesetzt, aber selbst diese massierten Kräfte reichten nicht aus, der NPD eine ordnungsgemäße Durchführung der Kundgebung zu garantieren. Seine Entscheidung, die Kundgebung schließlich gar nicht erst stattfinden zu lassen, hat verhindert, daß es zu noch schwereren Auseinandersetzungen kam.

28. September 1969: Hexenkessel am Egidienplatz

© Ulrich

Auch so hat, wie Herold am späten Abend bekanntgab, die Polizei 21 Verletzte zu verzeichnen, davon drei so schwer, daß sie in das Krankenhaus gebracht werden mußten. Die Zahl der verletzten Demonstranten gab Herold mit drei an. Es könnten nach seinen Worten jedoch mehr gewesen sein.

Kurz darauf fanden die ersten Gegendemonstrationen statt. Am Ende dieser Treffen, mit denen die Bürger zeigen wollten, daß „Nürnberg den Demokraten gehört“, zogen die Teilnehmer in langen Kolonnen in Richtung Egidienberg.

Die Kundgebungsstätte bot inzwischen das Bild eines Hexenkessels. Immer neue Menschenmassen drängten in Richtung Polizeikette, hinter der nicht nur die Plexiglaskanzel stand, hinter der von Thadden im Schatten des Kaiser-Wilhelm-Denkmals zu den Massen sprechen wollte, sondern wo auch der mit NPD-Plakaten und Schutzgittern versehene Parteibus aufgestellt war. Dieses Gefährt war offenbar für die Demonstranten das rote Tuch.

Die ersten Knallkörper detonierten inmitten der Menge, Farbbeutel flogen, streitende Parteien schlugen mit Transparenten aufeinander ein. Die Polizeikette wurde weiter verstärkt. Wasserwerfer bezogen Stellung. Für die Demonstranten bedeutete dies offenbar den Startschuß für den Sturm auf die mit Stacheldraht versehenen Barrikaden, die schon bald stellenweise durchbrochen waren. In diesem Augenblick hieß es: „Wasser marsch!“

Nur für kurze Zeit ließ sich die Menge zurückdrängen, um schon bald wieder einen neuen Anlauf gegen die Sperrkette der Polizei zu nehmen. Der Siedepunkt war erreicht. Wasserwerfer und laufende Durchsagen der Polizei über Lautsprecher, die allerdings kaum zu verstehen waren, verhinderten nicht, daß sich der Tumult noch weiter ausbreitete. Um 19.10 Uhr wurde verkündet: „Die Versammlung ist aufgehoben. Sie hat einen unfriedlichen Verlauf genommen, die Kundgebung findet nicht statt“.

Trotzdem hielten die Unruhen an. Immer wieder kam es zu Angriffen einiger Demonstranten auf die Polizei, die bis zum Schluß keinen Gebrauch von ihren Schlagstöcken machte. Der Versuch, von der Theresiensfraße wie von der Stadtbibliothek her Keile in die aufgebrachte Menge zu treiben, mußte die Bereitschaftspolizei schon bald wieder aufgeben. Die Gemüter begannen sich erst zu beruhigen, nachdem der NPD-Bus abgefahren und die Glaskanzel beseitigt war.

Darauf wurden auch die Wasserwerfer zurückgezogen. Eine etwa zweihundertköpfige Demonstrantengruppe formierte sich schließlich auf der Theresienstraße und zog in Richtung Polizeipräsidium. Unterwegs stürzten sie Wahltransparente um und verbrannten Plakate. Bei den Zwischenfällen hielt sich die Polizei zurück, um keinen Anlaß zu weiteren Ausschreitungen zu_ geben.

Diese Demonstranten für Demokratie und Freiheit wurde von einem Großaufgebot von Reportern, Hörfunk- und Fernsehteams aus aller Welt verfolgt. Ein amerikanischer Zeitungskorrespondent hatte die Situation auf dem Egidienplatz in die Worte gekleidet: „Egal, wer diese Leute da unten sind. Sie haben Deutschland vor dem Ausland rehabilitiert!“

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