8. November 1969: Bevölkerung schrie gegen Huber

8.11.2019, 07:00 Uhr
8. November 1969: Bevölkerung schrie gegen Huber

© Ranke/Ruckdeschel

Der Hof des Polizeipräsidiums glich einem Heerlager. Mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei lagen in Reserve, ebenso auf der Insel Schütt, um im Ernstfall einzuschreiten. Bis auf kleinere Ausschreitungen verlief jedoch die Demonstration ohne schwere Zwischenfälle.

Der Anti-Huber-Tag in Nürnberg war überschattet vom Tod eines Zuschauers, des 67jährigen Rentners Josef Geitner aus Gebersdorf, der beim Vorbeimarsch der Studenten vor dem Hochhaus am Plärrer einen tödlichen Herzinfarkt erlitt. Der Auto- und Straßenbahnverkehr kam in den vier Studen, die die Demonstration andauerte, zum Teil völlig zum Erliegen. Der Besonnenheit von Polizei und Demonstranten ist es zu danken, daß es nicht zu Zusammenstößen kam, obwohl sich in die Reihen der Schüler und Studenten auch radikale Gruppen gemischt hatten.

Bereits in den frühen Vormittagsstunden hatte die Polizei an allen neuralgischen Punkten Nürnbergs Posten bezogen, um den Verkehr rechtzeitig vor Eintreffen des Demonstrationszuges umzulenken. Sternförmig marschierten die einzelnen Gruppen der verschiedenen Schulen aus allen Richtungen kommend zum Platz vor der Lorenzkirche. Hier fand die erste Protestkundgebung statt, bei der ein Asta-Mitglied des Ohm-Polytechnikums erstmals massiv für den Rücktritt Hubers plädierte. Zur Kundgebung stießen auch 50 Schülerinnen der Frauenfachschule und trugen auf Schrubbern und Besen befestigt Plakate mit der Aufschrift: „Wir wollen kein Pudding-Abitur!“

Eskortiert von Streifenfahrzeugen bewegte sich nun der Protestzug über die Karolinenrtaße zum Plärrer. Inzwischen hatten sich schon Angehörige linksradikaler Organisationen unter die Anti-Huber-Bewegung gemischt und sie mit Parolen zu Ausschreitungen zu bewegen versucht. „Blockiert die Fahrbahn – haltet die Autos an!“ Die Zuornder wurden zu dieser Zeit der Situation nicht mehr ganz Herr. Ein erstes Sit-in blockierte von voller Breite die Fürther Straße.

Autofahrer, die sich inmitten der demonstrierenden Gruppen befanden, mußten in Kauf nehmen, daß einige Dernonstranten sich vor die Wagen setzten, auf Autos kletterten und die Fahrer beschimpfen. Die Studenten schritten unverzüglich gegen solche Aufwiegler ein. Trotzdem war nicht zu verhindern, daß der Ring für etwa eine Stunde für den gesamten motorisierten Verkehr gesperrt werden mußte.

Die Studenten fanden bei der Bevölkerung lebhaften Anklang, zumal sich die Demonstration durch eine – soweit dies bei einer solchen Menschenansammlung möglich war – vorbildlichen Organisation auszeichnete. Da schob sich ein Lautsprecherwagen der Ohm-Studenten durch die Menschenmenge: „Krankentransport – bitte machen Sie den Weg frei!“

Diszipliniert traten die Demonstranten zurück, so daß ein Rentner, der am Plärrer ohnmächtig geworden war, im Lautsprecherwagen sofort ärztlicher Behandlung zugeführt werden konnte. Auch auf dem weiteren Weg in Richtung Bahnhof über den Frauentorgraben fanden die Studenten die Sympathien der Passanten, wenngleich viele Autofahrer mit Hupkonzerten gegen den unfreiwilligen Aufenthalt protestierten. Nächste Station war die Zeltnerkreuzung, wo man sich zu einer neuerlichen Kundgebung traf. Auf den Transparenten der Studenten las man unter anderen: „Goppel schick den Huber heim – Bayern wird dir dankbar sein“ – „Ein dummes Volk regiert man leicht – die CSU hat‘s fast erreicht“ – „Huber Bildungssaurier“ und deftigere Sprüche.

Vom Bahnhofsplatz schwenkte der Zug in Richtung Lorenzkirche und veranstaltete hier ein Sit-in, das man wegen der kühlen Sitzgelegenheit schnell wieder beendete, 3.000 Demonstranten brachen überraschend in das friedliche Treiben auf dem Hauptmarkt und – man staune: kein Ei bei den Eierständen zerbrach, keine Tomate wurde zertreten.

Nachdem die Studenten auf ihren vielen Stationen durch die Innenstadt immer wieder die Bevölkerung über ihr Anliegen unterrichtet hatten, sprach nun in der Weintraubengasse Landtagsabgeordneter Ferdinand Drexler (SPD) über Lautsprecher zu der Menge. Er sagte. „diese Demokratie kommt mit Schlafmützen nicht weiter!“ Er habe die Hoffnung, Hubers Gesetzentwurf werde zu Fall gebracht. „Aber solange ein Ministerpräsident Goppel sich hinter seinen Minister stellt und ihn voll deckt, muß man sich fragen, wer hier eigentlich zurücktreten soll.“

Zur Schlußkundgebung trafen sich alle Schüler und Studenten nochmals vor der Lorenzkirche, bevor die Demonstration offiziell aufgelöst wurde. Hunger und Kälte trugen dazu bei, daß sich die Menge bald zerstreute.

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