Ein Schrein voller Rätsel

13.11.2019, 19:54 Uhr
Ein Schrein voller Rätsel

© Foto: Hartmut Voigt

Was bedeuten nur die quadratischen Löcher in den Köpfen der Apostel am Sebaldusgrab von Peter Vischer? Architekturhistoriker Pablo de la Riestra grübelt über diese Frage in seinem schmalen, druckfrischen Kunstführer nach. Allein schon der Titel "Das Rätsel Sebaldusgrab" macht den Leser neugierig – und mit dem cleveren Marketing-Trick lockt der belesene Akademiker Interessierte zu dem profunden, kenntnisreichen Text.

Die Löcher in den Bronzeköpfen hat de la Riestra mit Hilfe einer Drohne entdeckt, die das 500 Jahre alte Kunstwerk des Rotschmieds Peter Vischer überflogen hat. Aus der normalen Position des Besuchers sieht man die Vertiefungen nämlich gar nicht. Für jedermann auffällig ist dagegen, dass in den Nischen über den Aposteln noch Platz für weitere Figuren ist. Vielleicht für Propheten des Alten Testaments? Aber warum wurden sie nicht platziert?

Weitere Ungereimtheiten stoßen dem Kunstexperten auf: Warum tragen ausgerechnet lasterhafte, schwangere Lüsterweibchen in dem Sakralraum die Kerzen – das Licht, das die Menschen erleuchten soll? Und warum sind ausgerechnet die Reliefs mit den Taten des heiligen Sebald, der Hauptperson, am schlechtesten zu sehen? Fragen über Fragen, an denen der gebürtige Argentinier und Wahlnürnberger mit großem Wissen und Lust am Rätseln herumknobelt. Es ist eine äußerst komplexe Welt, meint er: "Wir wissen viel, aber noch viel mehr wissen wir nicht."

Die Sebalduskirche ist dem 66-Jährigen sehr vertraut: Von seinem Schreibtisch aus kann er die Kirchtürme sehen. Ihm bedeutet das Gotteshaus viel, er nähert sich ihm respektvoll, wie er betont. Auch wenn er fürchtet, zahlreiche Fragen nicht klären zu können, so zieht ihn das Sebaldusgrab magisch an: Es sei der beste Beleg, wie die deutsche Welt der Gotik und die italienische Renaissance "aufeinanderkrachen".

Nicht in alles und jedes will der langjährige Gastprofessor und Lehrbeauftragte eine Bedeutung hineingeheimnissen. Dass die Schnecken, die das großartige Bronzegehäuse mit dem himmlischen Jerusalem als Krönung tragen, ein Symbol für die Ewigkeit sein soll, scheint ihm zweifelhaft. Weil der Weg in die Ewigkeit auch ganz, ganz langsam ist? Nein, da schüttelt de la Riestra den Kopf, das scheint ihm dann doch zu vordergründig. Manches sei eben reine Architektur und Schnecken kommen in der Gotik sehr häufig vor, merkt er trocken an.

InfoDas Heft "Das Rätsel Sebaldusgrab" aus dem Kunstverlag Josef Fink ist im Buchhandel sowie in der Sebalduskirche für vier Euro erhältlich.

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