6. März 1970: Der Winter kostet 80 Millionen

6.3.2020, 07:51 Uhr
6. März 1970: Der Winter kostet 80 Millionen

© Kammler

Der Volkswirtschaft im Bundesgebiet kommen die Launen der Natur auf weit über 15 Milliarden Mark zu stehen, denn: es kann nicht nur nicht gebaut werden; auch die Zulieferungsindustrien und andere Produktionszweige müssen Feierschichten einlegen. Und das seit Ende November vorigen Jahres!

Aufschlußreich dafür, welch ein hartes Regiment der Winter führt, sind auch die Zahlen des Nürnberger Arbeitsamtes. „Während wir 1969 ungefähr 15 Millionen Mark Schlechtwettergeld zahlten, haben wir jetzt schon ungefähr 25 Millionen Mark aufwenden müssen“, stellt Verwaltungsoberrat Andreas Jungkunz fest. Dazu kommen 1.200 Arbeitslose aus dem Baugewerbe, die unterstützt werden müssen.

Die hohen Verluste hätten erheblich niedriger gehalten werden können, wenn die Ausführungsbestimmungen zur produktiven Winterbauförderung in Bonn rechtzeitig verabschiedet worden wären, kritisiert Direktor Purrucker. „Ende November war es zu spät. Den Bauunternehmern blieb wenig Zeit, die für den Winterbau erforderlichen Schutzvorkehrungen zu treffen.“

Die Anträge, betont Purrucker, gingen daher zunächst schleppend ein. Außerdem mußten von 96 Gesuchen 36 abgelehnt werden, weil das Gesetz den Stichtag 31. Dezember vorschreibt. „Das ist glatter Unsinn“, tadelt der Baufachmann. Wenn man interessiert sei, den Bau als volkswirtschaftlich wichtigen Zweig anzuerkennen, dann müsse man den Firmen auch die Möglichkeit geben, rechtzeitig für Heizaggregate, Zelte und dergleichen zu sorgen.

Wie die Unternehmen sitzen auch die Arbeitnehmer auf Eis; sie beziehen Schlechtwettergeld. Viele Bauarbeiter, an saisonbedingtes, hohes Einkommen gewöhnt, sind Abzahlungsverträge eingegangen, haben sich Wohnungen mit hohen Mieten genommen. Jetzt müssen sie mit etwa 60 Prozent des Normalverdienstes alle Abgaben bestreiten. Bei einem Stundenlohn von 5,30 Mark in der Saison erhalten sie während des Baustopps höchstens 3,78 Ausfallohn in der Stunde. Das sind rund 80 Mark weniger in der Woche.

Arbeitsamt und Bauinnung zollt den Untätigen ein großes Lob: „Wir haben nicht den Eindruck, daß mit dem Schlechtwettergeld Mißbrauch getrieben wird. Die Leute fiebern dem Arbeitsbeginn richtiggehend entgegen.“

Wir fragten auch einige Unternehmen und Gesellschaften um ihre Meinung zum Bau-Katastrophen-Winter 1969/70. Die Antworten: „Wenn das so weitergeht, hat es katastrophale Auswirkungen. Büro- und Lagerbetrieb verschlingen wahnsinnige Kosten. Die besten Leute kommen und sagen: ,Master, ich geh' in die Fabrik!‘“

„Der Winter kostet uns rund eine halbe Million Mark. Seit November verdienen wir keinen Pfennig mehr. Erst unlängst haben wir 100.000 Mark Schlechtwettergeld für eine Woche vorschießen müssen.“

Mit Galgenhumor nimmt Hafenbaudirektor Walter Lechner das „Nürnberger Sibirien“ hin. „Mitte Februar wollten wir eigentlich 60 neue Lamellen in den Hecken betoniert haben. Na, ja, so haben wir halt eine einzige geschafft.“ Lechner fürchtet trotzdem nicht um die gesetzten Termine, es sei denn, auf den Flockenwirbel im Winter folgt im Frühjahr und Sommer der große Wolkenbruch.

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