Blöde Sprüche von Kollegen? Fehlanzeige!

Abwechslungsreich, aber anstrengend: Nina Kaiser rangiert bei der Bahn schwere Loks.

© Ralf Rödel Abwechslungsreich, aber anstrengend: Nina Kaiser rangiert bei der Bahn schwere Loks.

Das muss der Vorführeffekt sein. Zigmal hat Nina Kaiser den schweren Kupplungsbügel schon umgelegt und auf diese Weise zwei Güterwaggons miteinander verbunden oder voneinander getrennt. Sie hat gelernt, dass sie bei neu einlaufenden Zügen auch die Bremsschläuche lösen muss, sie weiß, wo sie anfassen kann, damit sie sich ihre Finger nicht einklemmt und dass sie Waggons, die in die Werkstatt müssen, anders miteinander verbinden muss als solche, die auf Fahrt quer durchs Land gehen.

Doch als sie das Ganze beim Fototermin zeigen will, fehlen ein paar Zentimeter. "Mit Schwung", feuert Ausbilder Norbert Beil die 22-Jährige an. Mit ein bisschen mehr Kraftanstrengung als zuvor sitzt der Bügel dann doch schnell dort, wo er hingehört.

Die kleine Szene beweist: Kaiser hat sich tatsächlich einen Knochenjob ausgesucht. Rund 35 Kilogramm wiegt der Kupplungsbügel, mit dem die angehende Lokrangierführerin Tag für Tag hantieren muss. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern 35 bis 40 Mal bei einem einzigen Zug.

Hinzu kommt noch ein ordentliches Laufpensum pro Tag. Rund 700 Meter lang ist ein Güterzug, da kommen die von Ärzten empfohlenen 10 000 Schritte täglich locker zusammen. Ihr persönlicher Dienstrekord liege bei 22 000 Schritten, erzählt Kaiser, der genau das an ihrem Beruf gefällt. "Da weiß ich abends, was ich getan habe."

Die braunen Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden, die Augenbrauen und Wimpern dezent geschminkt: Nachdem sie sich die orangefarbene Arbeitsjacke ausgezogen und den Helm abgelegt hat, kann man sich Nina Kaiser auch gut in einem Büro vorstellen. Und da war sie zunächst auch, wollte Kauffrau für Büromanagement bei einer Autovermietung werden. Doch dort gefiel es ihr nicht, sie habe sich "etwas Zukunftsträchtigeres, weniger Langweiliges" erhofft.

Nur 18 von 1484 Lokrangierführern sind weiblich

Über zwei Freunde kam sie zur Bahn und auf das Arbeitsfeld der Lokrangierführer, nach einem Schnuppertag unterschrieb sie ihren Ausbildungsvertrag — und wagte sich damit in eine Männerdomäne. Bundesweit arbeiten 1484 Lokrangierführer bei DB Cargo, gerade mal 18 davon sind weiblich.

In Nürnberg sieht das nicht anders aus, im Rangierdienst sind fast nur Männer beschäftigt. Unter den Azubis aller drei laufenden Lehrjahre ist Kaiser derzeit die einzige Frau, doch das sei kein Problem, sagt sie. "Meine Jungs haben mich alle total gut aufgenommen." Auch Ausbilder Norbert Beil betont, dass er für Frauen im Team durchaus offen sei. "Sie sollten allerdings schon Kraft haben."

Blöde Sprüche von Kollegen? Fehlanzeige!

© Ralf Rödel

Nicht nur das Kuppeln der Waggons ist eine körperlich anspruchsvolle Aufgabe. Lokrangierführer müssen auch die Druckluftbremsen prüfen. Da müsse man vor allem am letzten Waggon, wo die Luft womöglich mit einem Druck von fünf Bar austreten kann, aufpassen und den Schlauch gut festhalten, sagt Kaiser. "Sonst tut’s weh."

Auch sonst ist der Job zwischen den ein- und ausfahrenden Güterzügen nicht ganz ungefährlich, deshalb ist auch die orangefarbene Arbeitskleidung Pflicht. Doch Kaiser hat schon nach dem ersten halben Jahr das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. "Meine Arbeit ist definitiv abwechslungsreich."

Mit ihren Kollegen ist sie dafür zuständig, dass die Züge von einem der größten deutschen Rangierbahnhöfe nur betriebssicher auf die Strecke gehen, das Team sucht nach Defekten und sortiert die betroffenen Wagen aus. Noch darf Kaiser nicht selber fahren, doch auch das steht auf ihrem Ausbildungsplan. Es reize sie sehr, zu verstehen, wie all die Technik funktioniert, sagt die Nürnbergerin, die ihre Mutter mit dem beruflichen Kurswechsel zunächst geschockt hat. "Doch mittlerweile ist sie sehr stolz auf mich."

Die Bahn wiederum hofft, dass sich mehr junge Frauen an Kaiser ein Beispiel nehmen. Vor allem in den technischen Bereichen möchte das Unternehmen den Frauenanteil erhöhen und gezielt Frauen in Führungspositionen bringen. Mit Anzeigenkampagnen und über Schulpartnerschaften sucht die Bahn Kontakt zu Bewerberinnen und bemüht sich um ein anderes Image. Sich für einen technischen Beruf zu entscheiden, das bedeute ja nicht, sich nur für männliche Themen zu interessieren, sagt auch Kaiser. "Ich gehe auch gerne shoppen."

Schreinerin in der Ausbildung

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© privat

Eine Berufsausbildung zu machen, das hat Vanessa Huber viele Jahre nicht einmal ansatzweise in Betracht gezogen. Wie auch. Eltern, Verwandte, Freunde – sie alle fragten die 22-Jährige während der Schulzeit nicht etwa ganz allgemein: "Was möchtest du später einmal beruflich machen?" Sie fragten: "Was möchtest du später studieren?" Wer Abi macht, der geht studieren, so ist das nun mal, dachte sich also die junge Frau mit den locker zusammengebundenen roten Locken und dem Nasenring. "Meine Eltern haben mich aber nie gezwungen zu studieren, so war es absolut nicht, ich hatte immer die Wahl", stellt sie klar. "Aber irgendwie war etwas anderes nie ein Thema."

Und weil ein anderer Weg ins Berufsleben nie ein Thema war, schrieb sich Vanessa Huber nach der Schule an der Uni ein. Ein naturwissenschaftliches Studium sollte es werden – zumindest zwei Semester lang. "Mir war das alles aber zu trocken und zu theoretisch", sagt sie heute.

Sie wagte den Absprung und suchte sich einen Ausbildungsplatz, aber nicht etwa bei einer Versicherung oder einer Bank — Vanessa Huber schickte ihre Bewerbungsunterlagen an verschiedene Schreinereibetriebe.

"Irgendwie hat mich das immer fasziniert, wenn man sich selbst etwas bauen kann." In der kleinen Werkstatt des Vaters ihres Freundes hatte die 22-Jährige erste Erfahrungen mit Holz, Hammer und Nägeln gemacht. Einen kleinen Campingtisch hatte sie sich immerhin schon einmal gebaut. "Ich finde es toll, wenn man etwas Praktisches kann."

Klappen sollte es mit dem Erlernen von "etwas Praktischem" in einem Betrieb in der Nähe von Georgensgmünd. Für die Nürnbergerin nicht der nächste Weg, "aber ich habe in Nürnberg nichts bekommen", sagt sie. Vanessa Huber fährt seither jeden Tag mit dem Zug zur Arbeit, das Ticket bezahlt sie selbst. "Ohne die finanzielle Unterstützung meiner Eltern wäre das nicht machbar", sagt sie.

Unfaire Bezahlung

"Ich finde die Bezahlung einfach unfair." Und dabei spricht die junge Frau nicht allein von ihrem Azubi-Geldbeutel, auch ein ausgelernter Handwerker bekommt ihrer Ansicht nach zu wenig: "Wenn ich mich mit Freunden darüber unterhalte, was die in anderen Branchen verdienen, wundere ich mich schon, wie schlecht Handwerker bezahlt werden."

Rund eineinhalb Jahre ist es her, dass Vanessa Huber Bibliotheksbücher gegen Holzbretter und Stift und Papier gegen Hammer und Nagel getauscht hat. Bereut hat sie diese Entscheidung nie. Auch wenn sie zumindest zu Beginn mit einigen Dingen zu kämpfen hatte. "Mit der Arbeitshose und den Sicherheitsschuhen fand ich ganz am Anfang, dass ich einfach furchtbar aussehe. Ich hatte auch das Gefühl, ich werden in meinen Arbeitsklamotten auf der Straße schief angesehen", sagt sie. "Mittlerweile aber merke ich, dass ich immer weniger Wert auf Oberflächlichkeiten lege. Ich habe gelernt, dass solche Dinge einfach vollkommen egal sind."

Als einzige Frau in ihrem Betrieb war der 22-Jährigen zudem sehr schnell klar, dass sie in einer Männerdomäne gelandet war. "Vorbehalte, dumme Sprüche oder so etwas gab und gibt es von den Kollegen aber nie, im Gegenteil."

Wenn Vanessa Huber an körperliche Grenzen stößt, kommt von irgendeiner Seite immer eine helfende Hand. "Aber klar, wenn man einen ganzen Sprinter mit Holzplatten ausgeladen hat, merkt man das schon. Ich habe öfter mal Rückenschmerzen."

Ob Vanessa Huber nun wegen der körperlich anstrengenden Arbeit oder wegen der unförmigen Arbeitskleidung in ihrem Berufszweig nach wie vor eine Exotin ist, kann man bei der Handwerkskammer für Mittelfranken (HWK) natürlich schwer einschätzen. Tatsache ist aber: Von 324 neuen Schreiner-Azubis im Jahr 2016 waren nur 41 Frauen. "Das ist sogar noch ein relativ hoher Anteil für das Handwerk", weiß HWK-Sprecherin Johanna Dietz.

In anderen Handwerksberufen ist der Frauenanteil noch geringer: 815 Azubis haben 2016 in Mittelfranken im Bereich Anlagenmechanik für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik eine Ausbildung begonnen, darunter sind acht Frauen. Bei den 225 angehenden Maurern gibt es gerade einmal eine Maurerin.

Männerberuf, Frauenberuf – das klingt nach einem Klischee. Dennoch ist es Alltag, dass sich in manchen Bereichen die Geschlechter höchst unterschiedlich verteilen. Wie einseitig die Berufswahl noch immer ist, zeigt eine Studie der Universität Göttingen. So konzentrieren sich Frauen im Handwerk auf wenige Arbeitsfelder, im Jahr 2013 entfielen 58 Prozent aller Ausbildungsverhältnisse mit Frauen auf nur drei Berufe: Friseurin, Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk und Bürokauffrau. Zwei Frauen aus Nürnberg, eine angehende Lokrangierführerin und eine Schreinerin in der Ausbildung, erzählen, wie es ist, vor allem mit männlichen Kollegen zu arbeiten.


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