29. Dezember 1970: Die Armee der "Pistenrutscher"

29.12.2020, 07:00 Uhr
29. Dezember 1970: Die Armee der

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Möglichkeiten für den Winterurlaub gibt es viele, vorausgesetzt, die Schneehungrigen haben sich frühzeitig angemeldet. Die Zahl der Beherbergungsbetriebe nämlich ist im Gegensatz zur Nachfrage kaum gestiegen. Klage eines Nürnberger Reisebüros: „Die Nürnberger überlegen sich das immer sehr spät. Die Norddeutschen sind sehr viel früher daran mit ihren Bestellungen. Von dort haben wir bereits Ende August, also unmittelbar nach dem Sommerurlaub, die ersten Nachfragen. Die Nürnberger sind offenbar mehr für spontane Entschlüsse. Die ersten Buchungen aus der Stadt kamen Mitte November. Da waren die guten Reiseziele schon ausgebucht.“

Wer aber rechtzeitig Stapel von Prospekten durchgeblättert hat, steht vor der Qual der Wahl: Mittelgebirgslage oder Hochalpen, sportliches Training oder Erholung auf kilometerlangen, freigeräumten Spazierwegen, von der Ruhe eines Bergdorfes bis zum Trubel eines internationalen Wintersportplatzes – es ist alles da, alles zu seinem Preis. Und dem ist nach oben kaum eine Grenze gesetzt. Ein sogenanntes „Weihnachtspreisgefüge“ bietet zwar das beruhigende Gefühl, nicht in der Besenkammer übernachten zu müssen, aber auch einen Preisaufschlag von 25 Prozent.

Bayerischer Wald bevorzugt

Wer nur für ein paar Tage in diesen Genuß kommen kann und möchte, steht vor erheblichen Schwierigkeiten: die großen Reisegesellschaften buchen nur zweiwöchigen Aufenthalt. Für zweitägige Kurzfahrten bevorzugen die Nürnberger den Bayerischen Wald und das Fichtelgebirge. Fahrten nach Warmensteinach, Bischofsgrün, Bayerisch Eisenstein, auch eine Tour zur Zugspitze, mit Abendessen und Übernachtung zum Preis von 35 DM, haben großen Anklang gefunden.

Ansonsten legt nur ein Bruchteil der Nürnberger mehr Wert auf das „Apres“ als aufs Skifahren. Sie fahren nach Kitzbühel, St. Moritz, Chamonix (Werbung: „Bunt, hauteng und sexy“), nach Pontresina und Garmisch, Davos, St. Ulrich und St. Christina, dort wo – „man“ eben Urlaub macht zu einem Übernachtungspreis bis zu 100 DM und mehr. Die „echten“ Skifahrer, denen eine gute Piste lieber als ein 5-Uhr-Tee ist, zieht es in Berghotels und kleinere, ruhige Orte.

Bereit zum Geldausgeben

Alles in allem sind Winterurlauber bereit, mehr für ihr Vergnügen auszugeben als Sommergäste. Das beginnt schon mit den Vorbereitungen, beispielsweise vorweihnachtlichen Trainingswochen, die zahlreiche Skischulen in Zusammenarbeit mit Hoteliers veranstalten.

Auch der Deutsche Alpenverein, Sektion Nürnberg, bei dem etwa 4300 Nürnberger als Mitglied eingetragen sind, führt Kurse durch, für die ein Anfänger (vorausgesetzt er tritt dem Verein bei) nichts zu zahlen braucht. Das Kursprogramm enthält außerdem Schneewanderungen im Frankenjura oder im Fichtelgebirge. Programme dieser Art sprechen an, denn „fit“ sein möchte jeder, der auf sämtlichen Pisten erfahrene Könner und der blutige Laie.

Die Vorteile solcher Kurse sind eindeutig: die Übungshänge sind (noch) leer, die Teilnehmerzahl ist gering; auch in größeren Skiorten gibt es Preisvergünstigungen durch Pauschalpreise der Vorsaison und meist Pulverschnee.

Was aber lassen sich die Nürnberger Skihaserl ihre Ausrüstung kosten? Unter 100 DM teure Brettl fahren kaum noch herum. Holzskier werden seltener verlangt. Den größten Anteil sicherte sich der Kunststoffski in der Preislage über 250 DM. Wer unbedingt die Luxusausgabe sein eigen nennen möchte, der muß 850 DM auf den Tisch blättern.

Dazu ist eine Bindung mit Goldauflage zu haben. So fehlt denn im Nürnberger Raum eigentlich nur mehr eines: der Schnee. Freilich, zu Weihnachten kam er gerade noch rechtzeitig: aber das war mehr Verbrämung, die gerade noch für optische Zufriedenheit ausreichte. Zum Ski- oder Schlittenfahren jedenfalls reichte es auf keinen Fall. Vielleicht haben am Ende die Spötter doch recht,die da behaupten, Nürnberg sei ein Ausfluß der Hölle: da werde es nie kalt.

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