Familie lebt für den Klang

11.6.2008, 00:00 Uhr
Familie lebt für den Klang

© Niklas

ein Ereignis, das die Familie morgen ganz groß feiern möchte. Dort, wo bei Kriegsende Krater um Krater im Boden klafften und Johann und Rudolf, damals acht und sechs Jahre alt, nach den Hausaufgaben Steine für den Wiederaufbau klopften. «Wir bauten Kartoffeln, Salat, Gemüse und Getreide an. Wir konnten uns selbst versorgen», erzählt Johann Huck. «Der Aufbau war für uns mehr Abenteuer als Arbeit.» Später halfen die Jungs im Versand und wuchsen in die Firma hinein, wie es einst ihr Vater Wilhelm und dessen Bruder Hans getan hatten. Hans verunglückte 1937 im Gebirge, Wilhelm verstarb am 3. März 1946.

Wohl schwankte seine Witwe Rosemarie damals, ob sie das Unternehmen erneut hochziehen sollte, doch aus Familie und Freundeskreis erhielt sie mentale wie tatkräftige Unterstützung: «,Dein größtes Kapital sind deine Söhne, du musst die Firma wieder aufbauen!’», zitiert Johann Huck aus der Vergangenheit. «Eine Frau durfte damals Kinder allerdings nicht allein erziehen, also bekamen wir einen Vormund. Der erste war nichts», sagt er bitter. «Der zweite war der Vater einer befreundeten Familie mit drei Kindern. Eine Seele von Mensch!» Im Keller eines nahen, unzerstörten Eckhauses, begann langsam alles von Neuem. «Dort hatten wir Strom, Gas und Wasser und fertigten zunächst Behelfskocher für Siemens.»

Die Mutter tauschte bei Bauern in Muggenhof Technik gegen Schnaps, der wiederum wechselte für Metall-Scheine den Besitzer. Die Brüder stöbern zwischen riesigen Kuhglocken, Fußbändern mit Schellen und anderen klingenden Eigen-Produkten auf dem Tisch in alten Fotos und Akten. Beide gingen damals auf die frisch gegründete Waldorfschule, bevor Johann die Handelsschule besuchte, als Volontär bei der HypoBank und anschließend ein Jahr in Johannisburg arbeitete. «Per Schiff ging es durch den Suez-Kanal 1960 zurück nach Nürnberg.» Bruder Rudolf, auch jetzt in charakteristischer Arbeitshose, zog es weniger zum Kaufmannstum als zur Technik: «Ich hab immer Spielzeuge und Autos zerlegt, wollte immer wissen, was darunter steckt. Da hieß es dann: ,Du wirst Ingenieur!’ Fertig.»

1951 hatte die Mutter wieder geheiratet. «Dieser zweite Vater hat diverse Maschinen speziell für den Betrieb entwickelt. Sie wurden hier gebaut und funktionieren bis heute. Niemand hatte Einblick in die Fertigung, wir waren autark!» Bereits 1949 stellte die Firma wieder auf der Spielwarenmesse aus. «Nächstes Jahr sind wir zum 60. Mal dabei», erklären die Brüder sichtlich begeistert - viel Reibungsfläche bei der gemeinsamen Geschäftsleitung gab es nie, schon aufgrund der verschiedenen Gebiete. «Wir waren immer froh, wenn’s weiter ging.»

Das tut es auch heute: Johann Hucks Sohn Jürgen steht schon in den Startlöchern und hat für die Messe eine erfolgreiche PR-Methode entwickelt. «Ich scanne sozusagen die Produkte, habe alle Taschen voll Glöckchen und Schellen an den Schuhen, so hört man mich schon von weitem.» Ob Teddybären, Kugelbahnen oder gar Schlitten - «da gehört eigentlich ein Glöckchen rein», klärt er die potenziellen Kunden auf. «2008 sind wir an den größten Schlittenhersteller geraten - ein künftiger Kunde.» Der 38-Jährige lächelt, auch sein Herz hängt längst an der Firma, zudem arbeitet er als Klangschalentherapeut.

Schließlich öffnet die Familie das Firmen-Reich: Nach Öl riecht es, nach Steinboden, Metall und Chemie. «Das ist die Galvanik», zeigt Rudolf Huck auf eine von etlichen Flüssigkeiten in großen Becken. «Wir verarbeiten 100 Tonnen Material im Jahr.» Er erläutert die Funktion enormer Maschinen, während 20 riesige Schübe voller gold- und silber-schimmernder Glöckchen und Schellen in allen Größen den Blick fesseln.

«Im Mittelalter», erzählt sein Bruder Johann, während der Glocken-Glanz die Augen in eine Art Rausch versetzt, «war der Schellenmacher ein gesperrtes Gewerbe. Wer Meister war, musste sich dazu verpflichten, die Stadt nicht zu verlassen, damit das Wissen erhalten blieb.» Schon Ferdinand Magellan habe bei seiner Weltumsegelung 20 000 Silberglöckchen aus Nürnberg an Bord gehabt. «Leider noch nicht von Huck» - er schmunzelt.

Sohn Jürgen greift tief in ein Fass mit Rohlingen. «Auf Reisen entdeckt man häufig eine besonders drapierte Glocke am Empfang. Die ist dann meist aus Großvaters Werkstatt», meint er strahlend. «Ein gigantisches Gefühl!»

Steiff bestellte bereits 1898 bei Huck und ist der älteste Kunde. Ein Glöckchen-Flacon für Avon-Kosmetik brachte einst den ersten Auftrag mit millionenfacher Stückzahl. «Jinglers-Jeans», die goldenen Lindt-Osterhasen, eine Exklusiv-Serie von 4711 - alle trugen Glöckchen aus Nürnberg. Futterherzen von Vitakraft und die Spiegel für Vogelkäfige, Mittelaltermärkte, Orffsche Schulmusik, Pferdegeschirre für Russland, Kuhglocken, Spielwaren, Blindenbälle, Klingendes für Angelruten - die Firma exportiert nach ganz Europa, in die USA, nach Kanada, Japan, China, Israel, Taiwan, Südafrika, Tunesien, Martinique . . .

«Rundum», sagt Rudolf Huck bescheiden. «Wir sind weltweit in der Branche führend. Man kennt uns einfach. Doch ohne unsere tüchtigen Mitarbeiter wären wir nicht, wo wir sind.» Von den 16 Angestellten halten die meisten den Hucks seit über zehn Jahren die Treue. «Wir sind für sie da, sie für uns. Doch Qualität verpflichtet. Die muss gehalten werden!» Ganz besonders, wenn man der Bundeskanzlerin ein Geschenk macht.

Johann Huck hält ein Dankesschreiben von Angela Merkel in der Hand. «Jacques Chirac hatte ihr für den EU-Gipfel in Brüssel eine Tischglocke empfohlen, um die Redezeiten zu begrenzen.» Andächtig blicken alle drei auf die Karte. «Wir haben Frau Merkel damals eine Glocke geschickt.» Johann Huck legt den Kopf schief. «Ich nehme an, sie hat sie auch benutzt.»

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