Wie es jugendlichen Straftätern im Jugendarrest geht

21.8.2012, 07:30 Uhr
Wie es jugendlichen Straftätern im Jugendarrest geht

© Roland Fengler

Ablenkung gibt es nicht in dem neun Quadratmeter kleinen Raum mit den hellgelb gestrichenen, kahlen Wänden. Unter dem vergitterten Fenster stehen ein einfacher Tisch, ein hölzerner Stuhl, in einer Ecke ein schmales Bett, daneben ein Spind aus Sperrholz. Hinter der Türe sind Toilette und Waschbecken versteckt.

Ganz bewusst gäbe es hier keinen Computer, keinen Fernseher und ein striktes Handyverbot, erklärt Jugendrichterin Gabriele Gemählich, die seit acht Jahren die Jugendarrestanstalt leitet. Wer von einem der 24 nordbayerischen Jugendgerichte hierher geschickt wird, soll eine Pause zum Nachdenken einlegen – über das Unrecht, das man begangen hat und auch darüber, was man mit seinem Leben anfangen möchte. Um ihn nicht mit der Aufmerksamkeit der Medien zu belohnen, darf Tim nicht mit der Presse sprechen. Die Einrichtungsleiterin berichtet über seinen Alltag an der Mannertstraße. Der Arrest sei eine Erziehungsmaßnahme für straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende, so die Jugendrichterin. Zwischen einem Wochenende und bis zu vier Wochen bleiben die Arrestanten in der Einrichtung an der Mannertstraße.

Tim, der zu zwei Wochen Arrest verurteilt wurde, klingelt am Montagmorgen an der Tür der Arrestanstalt. Ein positiver Fall, so Gabriele Gemählich. „Die Antrittsmoral ist schlecht, viele kommen zu spät oder gar nicht. Wir müssen sie dann von der Polizei vorführen lassen“, so die Einrichtungsleiterin. Dennoch sind die 45 Plätze der Nürnberger Jugendarrestanstalt gerade in den Ferien komplett belegt, schließlich sollen die jungen Leute in der Schule oder Berufsschule nichts verpassen.

Wie es jugendlichen Straftätern im Jugendarrest geht

© Roland Fengler

Nun geht Tim in eine Art Lagerraum. Kleidung, die er sich für die zwei Wochen in seiner Sporttasche mitgebracht hat, packt er mit einem der Vollzugsmitarbeiter in einen Wäschekorb. Der Beamte durchsucht dabei alle Taschen und später auch Tim. Bis auf Kleidung und Bücher darf nichts ins Haus. Zigaretten, Drogen und Mobiltelefone sind absolut tabu. Wer versuche, etwas einzuschmuggeln, müsse mit Einschränkungen rechnen – und zum Beispiel die private Kleidung gegen Anstaltskleidung tauschen, erklärt die Jugendrichterin. In den Wäschekorb kommen außerdem Bettwäsche, Handtücher, ein Trinkbecher und eine Teekanne.

Eine Stunde später bezieht Tim seinen Arrestraum: Er räumt T-Shirts und Jogginghosen in den Spind und bezieht das Bett. Nach fünf Minuten ist er fertig und steht etwas verloren vor der verschlossenen Stahltüre. Was soll er nun mit sich anfangen? „Die ersten beiden Tage sind besonders hart“, sagt Gabriele Gemählich. Bis auf das gemeinsame Mittagessen und eine Stunde Hofgang bleiben die Jugendlichen in ihren Zellen. Anschließend können sie sportliche und sozialpädagogische Angebote nutzen.

Neben dem Hallensport, der zweimal in der Woche angeboten wird, ist der Hofgang einer der Höhepunkte des Arrestalltags: Zwischen sechs Meter hohen Betonmauern und der Backsteinwand des Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert steht eine Tischtennisplatte, ein Basketballkorb und auch ein Sandplatz für Fuß- oder Volleyball ist vorhanden.

Nach zwei Tagen hat sich Tim ganz gut eingelebt. Fast täglich gibt es Angebote, zum Beispiel Gespräche mit den Vollzugsbeamten oder der Sozialpädagogin, Beratungsstunden zu Alkohol und Drogen von der Mudra. Außerdem kommen die Aidshilfe, Pro Familia, ein Verkehrspolizist, eine pensionierte Lehrerin mit Kreativkursen und ein Pfarrer regelmäßig in die Einrichtung. Wer mindestens zwei Wochen Arrest verbüßt, kann an einem sozialen Trainingskurs teilnehmen. Außerdem helfen die Arrestanten beim Sauberhalten der Räume und der Essensausgabe. „Die Jugendlichen werden hier nicht nur weggesperrt, sie sollen auch etwas lernen“, sagt die Richterin.

Wie es jugendlichen Straftätern im Jugendarrest geht

© Roland Fengler

Für viele ist das bereits eine geregelte Tagesstruktur. Zeitig aufstehen, ein warmes Mittagessen, das gemeinsam am Tisch eingenommen wird, regelmäßig duschen – das sei für einige Jugendliche gewöhnungsbedürftig, so die Jugendrichterin. „Zu Hause kümmert sich keiner um sie.“ Die meisten würden aus schwierigen sozialen Verhältnissen kommen, so Gabriele Gemählich.

Nicht nur für Tim sind die Abende lang und langweilig. Um 16 Uhr werden die Arrestanten mit ihrem Abendessen eingeschlossen. Deshalb sucht Tim, der eigentlich kein großer Leser ist, heute die Bibliothek auf. Etwas ratlos steht er vor den zwei Regalwänden. „Was schaust du gerne für Filme“, fragt Daniella Wegener, Leiterin des allgemeinen Vollzugsdienstes im Jugendarrest. Sie sucht ihm nach seinen Schilderungen einen Kriminalroman aus. Harry Potter und Stephen King seien am gefragtesten, so Daniella Wegener. Aber auch Fachbücher zu Motorrädern oder Fußball würden gerne gelesen. „Manche lesen bei uns überhaupt ihr erstes Buch“, so die Beamtin.

Gut zehn Tage später ist für Tim der Tag der Entscheidung. Darf er früher nach Hause? Jeden Freitag lässt sich Gabriele Gemählich in ihrer Sprechstunde die Berichte von den Vollzugsmitarbeitern und der Sozialpädagogin vorlegen. Wer sich gut geführt hat, bekommt einen „Rabatt“. „Wir arbeiten mit einem Belohnungssystem. Die jungen Leute sollen lernen, dass sie etwas zurückbekommen, wenn sie sich anstrengen.“

Angestrengt hat sich Tim – im Arrest will er nie wieder sitzen. Er hat mit der Sozialpädagogin vereinbart, in Freiheit eine Beratungsstelle aufzusuchen. Die Jugendrichterin nimmt dem jungen Mann ab, dass er sein Leben in den Griff bekommen will. Er darf die Mannertstraße zwei Tage früher verlassen.
 

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