Wenn Worte mehr bewirken als Fäuste

20.1.2012, 19:58 Uhr

Die Polizei war mindestens einmal in der Woche im Haus. Doch das war für Christian Schad nichts Ungewöhnliches mehr. Auch der Notfalleinsatz mit einem anschließenden Transport eines verletzten Schülers ins Krankenhaus war für den Vertrauenslehrer nicht mehr wirklich aufregend. Dennoch war bald klar: Da muss sich etwas verändern. Ein Konfliktmanagement musste her.

Denn in seiner Pfaffendorfer Förderschule sitzen verhaltensauffällige Kinder neben Altersgenossen, die „nur“ unter Lernschwierigkeiten leiden. Manche Kinder leben in einem angeschlossenen Heim, manche fahren nach der Ganztagsschule wieder zu ihren Eltern nach Hause. Da ist es wenig verwunderlich, dass sich bald ein hohes Frustrations- und Aggressionspotential aufbaute.

Das Jugendhilfezentrum „Dominikus Savio“ in Pfaffendorf bei Bamberg besteht einerseits aus einem Heilpädagogischen Heim mit Tagesstätte und zum anderen aus einem Sonderpädagogischen Förderzentrum. „Hilfe zur Selbsthilfe“ sowie „Autorität und Glaubwürdigkeit“ gehören zu ihren wichtigsten Prinzipien.

Die Nürnberger Mediationsstelle der Evangelischen Landeskirche „kokon“ um Pfarrerin Claudia Kuchenbauer stand den Pfaffendorfern mit Rat und Tat zur Seite. Sie bietet Fortbildungen und Beratungen an. Streitschlichter unter Förderschülern auszubilden – ja, das sei möglich, nickt auch sie. Christian Schad wählte aus 25 Interessenten ein Team von 13 Jugendlichen aus. Er bildete sie regelmäßig in effizienten Formen der Deeskalation aus.

Ein Aktionstag gegen Mobbing an der Schule bildete ein weiteres Standbein seines Engagements. Es ging da – der Schulform angemessen – eher um praktische Aktivitäten. Die Bamberger Basketballer zeigten, wie Teamarbeit gelingen kann. Vertrauensübungen rundeten den Tag ab: Lassen sich etwa Schüler blind und mit verbundenen Augen von ihren Klassenkameraden führen? Beim bayernweiten Wettbewerb „mobben stoppen“ erreichte sein Schulteam den zweiten Platz in ihrer Kategorie. „In manchen Wochen komme ich kaum mehr zum Unterrichten“, meint Schad. Dann ist er einen Tag lang zu Fortbildungen unterwegs, muss einen weiteren Tag für eine aktuelle Konfliktberatung opfern und sich anschließend noch um seine Streitschlichter kümmern. „Wenn Schul- und Heimleitung nicht konsequent hinter dem Projekt stünden, wäre es kaum zu verwirklichen“, sagt er.

Die Wünsche des Anderen anhören

Doch auch wenn er selbst manches Mal den Eindruck gehabt hätte, seine Zeit über alles Maß hinaus investieren zu müssen – „es bringt etwas“. Die Einsätze von Polizei und Notarzt hätten sich deutlich vermindert, es sei sogar so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Schülern gewachsen. Das alles sind wesentliche Grundlagen den Konflikttrainings, erklärt Mediatorin Claudia Kuchenbauer: „Es gilt herauszufinden, was meine Interessen und Bedürfnisse sind.“ Dazu komme dann der Mut, dafür einzutreten. Und genügend Interesse am Anderen, um auch seine Wünsche anzuhören.

Eine regelmäßige Lehrerfortbildung ist wichtiger Teil ihres Engagements, um den zunehmenden Mobbingfällen und der um sich greifenden Gewalt an Schulen vorzubeugen. Doch dürfe dies nicht nur ein „Direktorenprojekt“ sein, sondern die ganze Schule müsse von der Notwendigkeit dieser Form der Deeskalation überzeugt sein.

Bei einer solchen Mediation zwischen Konfliktparteien geht es auf keinen Fall darum, wer „schuld“ an dem Streit trägt – sondern um die zukunftsweisende Lösung eines Konflikts. Denn durch Zwietracht können beide Parteien nur verlieren, gerade dann, wenn sie krampfhaft versuchen, ihr Gesicht zu wahren. Daher versucht eine erfolgreiche Vermittlung eine Vereinbarung der Teilnehmer zu erreichen, durch die jeder gewinnen kann.

Diese Einschätzung können auch Ute Maier und Karl Bauer aus Heilsbronn nur unterstützen. Die evangelische Religionslehrerin und ihr katholischer Kollege haben zwar mit deutlich weniger drastischen „Fällen“ zu kämpfen, doch eine „gewaltfreie Kommunikation“ schafft auch bei ihnen ein entspanntes Schulklima.

Sie zeigen ihren jugendlichen Streitschlichtern, wie sie dem nachspüren können, was hinter einem Streit stecken kann – etwa die Sorge eines Schülers um fehlende Anerkennung oder häusliche Konflikte bei einer anderen Schülerin. Die Jugendlichen sollen befähigt werden, ihre Wünsche auszusprechen, die hinter den Streitigkeiten stehen. Das kann auch bei Mobbing-Fällen hilfreich sein, in denen Cliquen oder gar ganze Klassen einen Außenseiter ihre Ablehnung und damit ihre Macht spüren lassen.

Da gibt es auch Fälle, in denen eine Schülerin nur an der Hetze teilnahm, weil sie sich selbst als Opfer sah. Nur so glaubte sie selbst, dass sie von ihrer Clique nicht ausgeschlossen würde. Ältere Schüler trauten sich, als Paten in die Klassen der Unterstufen zu gehen. Denn es ist eher unwahrscheinlich, dass jüngere Schulkameraden im Konfliktfall zu ihnen kommen. „Und viele der Lösungsmöglichkeiten lassen sich genauso auf familiäre Situationen übertragen, wenn etwa ein Schüler mit seiner kleinen Schwester Streit hat“, ergänzt Ute Maier.

Für beide Pädagogen liegt ein besonderer Sinn darin, dass Religionslehrer mit einer solchen Form der Konfliktbewältigung beschäftigt sind. „Es ist eine Form schulischer Seelsorge, genau zuzuhören, wie die Bedürfnisse des Gegenübers aussehen.“ Auch ihre Funktion sei diejenige einer Hebamme, die hilft, die Grundlagen von Konflikten herauszuarbeiten und den Finger darauf zu legen, wo die Schwierigkeiten liegen.

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