Azubis durften Chef spielen

9.2.2010, 00:00 Uhr
Azubis durften Chef spielen

© Siebert

Carina Stengl ist hochkonzentriert. Gerade überlegt sie, wie viel rote Paprika sie für übermorgen bestellen soll. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Wie viel wurde verkauft, wie viel kommt morgen mit der Lieferung, wie hoch liegt der derzeitige Preis? «Die Bestellungen sind eine der schwierigsten Aufgaben als Filialleiter», sagt Stengl. Obwohl sie noch in der Ausbildung ist, kann sie das beurteilen – nach fast vier Wochen im Azubi-Projekt.

Zum Glück, sagt Carina Stengl, ist sie damit nicht allein, sondern leitet die Filiale zusammen mit acht anderen Azubis. «Wir sind ein super Team», sagt die blonde junge Frau und strahlt. Obwohl die Zeit nicht immer ganz einfach war, kann Stengl sich gut vorstellen, später eine Filiale zu leiten.

Für Aldi Süd ist das Projekt eine Möglichkeit herauszufinden, wer sich tatsächlich dafür eignet, die Verantwortung für eine Filiale zu übernehmen. «Es dürfen nur die mitmachen, bei denen wir davon ausgehen, dass wir sie nach der Ausbildung übernehmen», erklärt Regionalverkaufsleiterin Karoline Kienast. Wer von seiner Filialleitung dafür vorgeschlagen wird, steht während des vierwöchigen Projekts auf dem Prüfstand: Einmal täglich schaut Kienast in den Filialen vorbei und sieht nach dem Rechten, und auch die Filialleiter kommen regelmäßig, um sich von der Arbeit ihrer Azubis ein Bild zu machen. «Wichtig ist, dass sie im Team zusammenarbeiten können», erklärt Kienast. Das sei schließlich auch später entscheidend, wenn sie ihre eigene Filiale leiten. «Wo es ein echtes Team gibt, läuft die Arbeit viel runder ab», sagt die Regionalverkaufsleiterin.

Dass den Azubis während des Projekts Fehler unterlaufen, sei normal, sagt Karoline Kienast: «Das muss sein, sonst würden sie ja nichts lernen.» Weil aber mancher Fehler das Unternehmen teuer zu stehen kommen kann, schaut die Zentrale bei den Bestellungen genauer hin: Gerade bei frischen Lebensmitteln wie Obst, Gemüse oder Fleisch muss man möglichst genau abschätzen, wie viel man bestellt. Ansonsten muss entweder viel weggeschmissen werden – oder die Kunden gehen schon am frühen Nachmittag leer aus.

Einer der Azubis etwa hat fälschlicherweise zwei Lagen statt zwei Kartons Hackfleisch bestellt – das entspricht zwölf Kartons. «Zum Glück habe ich das selbst noch rechtzeitig gemerkt», sagt Artur Kremer.

Aber nicht nur Bestellungen gehören zu den Aufgaben der Probe-Filialleiter. Die erste Schicht beginnt morgens um halb sieben mit dem Einräumen von Obst, Gemüse und Frischfleisch, dem Befüllen der Backautomaten und dem Entgegennehmen von Lieferungen. Der Tag endet für die Spätschicht mit Putzen – einen Reinigungsdienst gibt es hier nicht. Die Azubis kehren und wischen alles selbst.

Die Anstrengung lohnt sich, wie die Resonanz der Kundschaft zeigt. Ein Schild am Eingang informiert sie über das Azubi-Projekt. «Mir haben an der Kasse schon viele gesagt, dass der Laden super aussieht», berichtet Philipp Reuter. Normalerweise sitzt er dort nicht: Philipp Reuter ist Filialleiterstellvertreter-Nachwuchs und hat noch vor ein paar Jahren selbst an dem Projekt teilgenommen. Er betreut die Azubis. Damit die aber möglichst viel allein entscheiden, sitzt der Betreuer die meiste Zeit an der Kasse. «Hut ab vor den Kassiererinnen. Ich finde das echt nicht leicht», sagt Reuter.

Nach Ablauf der vier Wochen kehren die neun Azubis in ihre eigenen Filialen zurück. Ein bisschen wehmütig, aber auch mit der Hoffnung, dass eines Tages aus dem Spiel Ernst wird.

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