"Juliet, Naked": Wenn Männer erwachsen werden

15.11.2018, 09:00 Uhr

© Prokino

Fast wirkt es, als hätte sich Nick Hornby von der Geschichte des mexikanisch-amerikanischen Singer-Songwriters Sixto Rodríguez zu seinem Roman inspirieren lassen. Um den "Sugarman" rankten sich etliche Mythen, als er einst nach kurzem Erfolg einfach von der Bildfläche verschwand - bis ihn zwei hartnäckige Verehrer wieder aufstöberten.

Ein derart glühender Fan ist im Film von Regisseur Jesse Peretz auch der britische Literaturdozent Duncan (Chris O’Dowd). Er pflegt akribisch eine Online-Seite, auf der sich Anhänger des abgetauchten US-Musikers Tucker Crowe (Ethan Hawke) über dessen Songtexte und das mutmaßliche Schicksal ihres Idols austauschen. O’Dowd spielt diesen Duncan als romantischen Nerd, der sich mit seiner Obsession haarscharf an der Grenze zur Witzfigur bewegt. Dass ihn seine Freundin Annie (Rose Byrne) nicht so richtig ernst nehmen kann und sich die beiden immer weiter voneinander entfernen, glaubt man sofort.

Als sie dann auch noch eine für Duncan bestimmte CD mit den Roh-Aufnahmen zu Tucker Crowes letztem Album "Juliet" heimlich anhört und ausgerechnet auf der Fan-Seite verreißt, ist das der Anfang vom Ende einer Beziehung.

Auf diese Weise verschiebt der Film den Fokus geschmeidig auf Annie. Denn durch ihren vernichtenden Kommentar kommt der nett verzauselte Songwriter, dem Ethan Hawke eine Menge Charme mitgibt, aus der Deckung. Via Internet nimmt er Kontakt zu ihr auf. Bis sich die beiden dann in London treffen, gehen so amüsante wie vertrauliche Mails hin und her. Daneben führt das Drehbuch wie die Romanvorlage die illustre Schar von Tuckers Kindern und Ex-Frauen ein - sozusagen als Resultat seiner wilden Zeit als Musiker.

Treffsicher mit witzigen Hornby-Dialogen unterfüttert kommt die flott gefilmte Geschichte wie geschmiert und sehr unterhaltsam voran. Wenn es dazwischen um verlorene Lebenszeit, verpasste Chancen, späte Einsichten und verkannte Gefühle geht, gibt das diesem sympathischen, aber nicht eben großen Film gerade mal so viel Tiefe, dass der Wohlfühlfaktor darüber nicht verloren geht. Gleiches gilt fürs gut aufgelegte Personal. Die Figuren haben mal mehr, mal weniger Kanten, aber mögen kann man sie alle. Deutlich wird das besonders in einer Schlüsselszene, in der Duncan tatsächlich live auf sein Idol trifft.

Der anregende Soundtrack gibt der Story nochmal Extra-Schwung. Doch wirklich im Mittelpunkt steht die Musik hier nicht. Dieser Platz gehört der Beziehung zwischen Annie und Tucker — und der Frage, ob sie eine Zukunft hat. Parallel dazu kann man zwei ausgewachsenen Männern dabei zuschauen, wie jeder auf seine Art langsam aus den Puschen kommen und realisieren, worauf es im Leben ankommt. Einen kleinen Seitenhieb auf zu viel Fan-Euphorie gibt’s inklusive. (USA/GB/105 Min.)

Verwandte Themen


Keine Kommentare