"The Dinner": Familiengemetzel in sechs Gängen

8.6.2017, 08:00 Uhr

© Tobis

Der Kongressabgeordnete Stan Loman (Richard Gere) hat seinen jüngeren Bruder Paul (Steve Coogan) und dessen Frau Claire (Laura Linney) ins supernoble Fünf-Sterne-Restaurant eingeladen. Obwohl Stan als Gouverneur kandidiert und mitten im Wahlkampfstress steckt, will er eine dringende Familienangelegenheit klären. Paul, ein Historiker und Ex-Lehrer, dessen Domäne der amerikanische Bürgerkrieg ist, würde das lästige Treffen mit dem ungeliebten Bruder gerne sausen lassen – kommt damit bei seiner auf Harmonie bedachten Gattin aber nicht durch. Vierte in der von Anfang an explosiven Tafelrunde ist Stans junge, neue Frau Katelyn (Rebecca Hall), dauergenervt und frustriert darüber, dass ihr Ehemann keine Kinder mit ihr haben will.

Und so beginnt beim Haute-Cuisine-Menü, dessen sechs Gänge auch den Film strukturieren, ein packend inszenierter und exzellent gespielter Schlagabtausch. Die Spannungskurve ist auch deshalb hoch, weil das, worum es eigentlich geht – ein furchtbares Verbrechen, das die beiden 16-jährigen Söhne der Familien begangen haben –, erstmal gar nicht zur Sprache kommt. Stattdessen führt Regisseur Oren Moverman ("The Messenger") in seiner Adaption des Bestsellers von Herman Koch zunächst in Rückblenden auf diverse familiäre Nebenschauplätze.

Der notorisch schlecht gelaunte Paul, ein brillanter Zyniker, offenbart bald seine pathologische Seite – der sich ewig vernachlässigt fühlende Sohn ist ein Gescheiterter, der an sich und seinem Land verzweifelt. Dass Stan Stimmen für einen Gesetzentwurf sammelt, der auch bei psychischen Krankheiten Versicherungsschutz garantiert, hat viel mit der eigenen Familiengeschichte zu tun.

Mit dem Brüderzwist, den aufbrechenden alten Wunden und den kriselnden Ehen macht Moverman einen ganzen Abgrund an persönlichen Konflikten auf und entwirft anhand eines intimen Mikrokosmos’ quasi das Psychogramm einer höchst labilen, verunsicherten Nation. Hinzu kommen die ausschweifend kredenzten Menüfolgen und die ständigen Unterbrechungen durch Stans Assistentin, die die notwendige Aussprache, vor der sich hier jeder scheut, immer wieder hinauszögern.

Doch wenn der eigentliche Grund für das Familientreffen nach und nach zum Vorschein kommt, entwickelt der Film maximale Wucht. Was die Kinder in jener Nacht getan haben, ist unverzeihlich. Noch sind sie nicht als Täter identifiziert, doch jetzt muss über die juristischen und moralischen Konsequenzen verhandelt werden. Die Frage, ob man die Halbwüchsigen schützen soll oder ob sie für ihre Tat einstehen müssen, wird zu einem nervenzerrenden Diskurs. Vor allem die zuvor so besonnene Claire offenbart sich bei der Verteidigung ihres Kindes als wahres Muttermonster, während es ausgerechnet der aasig smarte Stan ist, der darauf besteht, dass die Söhne zur Verantwortung gezogen werden müssen.

Oren Moverman schlägt in "The Dinner" einen weiten Bogen, reißt etwas zu viele Konfliktfelder an, so dass der Kern der Geschichte beinahe verloren geht. Trotzdem ist ihm ein verstörender, brandaktueller Film gelungen, der nach den Ursachen für die Verrohung der Gesellschaft fragt und lange nachwirkt. (USA/120 Min.)

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