"The Florida Project": Der Zauber des kindlichen Blicks

15.3.2018, 09:00 Uhr

© Prokino

Sean Baker hat schon in "Tangerine L.A." über das Leben Transsexueller in Los Angeles seinen dokumentarisch genauen Blick auf die Außenseiter der Gesellschaft bewiesen. In "The Florida Project" widmet er sich den Abgestempelten auf ähnlich zärtliche Weise, ohne Zweifel an der rauhen Wirklichkeit zu lassen.

Für Halley (Bria Vinaite) ist das sonnige Florida kein Urlaubsparadies. Ohne eigene Wohnung lebt sie mit ihrer sechsjährigen Tochter Moonee (eine umwerfende Entdeckung: Brooklynn Prince) in einem Mini-Appartement in der pinkfarbenen Motelanlage "Magic Castle", kratzt das Geld für die monatliche Miete mit dem Verkauf gepantschter Parfüms, geklauten Einlassbändchen fürs Disney-Paradies und als Gelegenheitsprostituierte zusammen.

Selbst fast noch ein Teenager ist die überreich tätowierte Halley von ihrer Aufgabe als alleinerziehende Mutter heillos überfordert. Meist hängt sie rauchend vor dem Fernseher ab, schert sich wenig um Regeln und Verbote, weshalb sie ständig Ärger mit dem Hausmeister hat. Doch Moonee weiß sich von ihr geliebt und behütet. Noch zu klein, um sich ihrer prekären Lebensumstände bewusst zu sein, erleben sie und ihre Freunde die knallbunte Ödnis mit den Billigmärkten und Abbruchhäusern, den Parkplätzen und Brachflächen als großen Abenteuerspielplatz.

Immer zu Streichen aufgelegt, spucken sie auf Autos, schalten den Strom des Motels ab, schnorren Geld für Eis, legen Feuer in einem verlassenen Haus. Je größer der Unfug, umso größer auch der Spaß. Wie Baker die ungebremste Energie der Kinder in lose aneinander gereihten Szenen eines Lebens am Rande des Existenzminimus einfängt, ist von unmittelbar mitreißender Wahrhaftigkeit.

Nur einen Steinwurf entfernt von den schillernden Kulissen der Disney World richtet er den Blick auf eine Subkultur, die den vorbeifahrenden Touristen tunlichst verborgen bleibt. Umgekehrt bekommen auch die Motelbewohner wenig mit von diesem künstlichen Universum. Dem Hubschrauber mit den Disney-Touristen, der über dem Gelände kreist, zeigen die Kinder den Stinkefinger und erschaffen sich ihre eigene Wunderwelt voller magischer Momente.

Einmal isst Moonee mit ihrer Freundin Jancey (Valeria Cotto) Marmeladenbrote auf einem umgestürzten Baum – ihr Lieblingsbaum, "weil er umgekippt ist und trotzdem weiter wächst". Ein Regenbogen wird zum Glücksversprechen und Janceys Geburtstag feiern sie nachts auf dem Parkplatz, während am Himmel das Disney-Feuerwerk für sie leuchtet.

Bei alldem leugnet der Film nie die Härten dieses Daseins. Mehr als jedes bemühte Sozialdrama macht "The Florida Project" die Teilung Armerikas in Arm und Reich greifbar. Zur großen Authentizität trägt dabei die Besetzung mit Laiendarstellern bei, die viel von ihrem eigenen Leben in den Film einbringen.

Einziger Star im Ensemble ist Willem Dafoe als beherzt durchgreifender, aber warmherziger und fürsorglicher Hausmeister, der weiß, was Armut mit den Menschen anrichtet. Dafoe spielt diesen desillusionierten Mann, der für die Bewohner des Motels zur Vaterfigur wird, absolut großartig. Dass vor Halleys Tür angesichts ihrer Eskapaden irgendwann das Jugendamt auftaucht, ist dennoch unabwendbar. Aber auch hier verzichtet Baker auf Pathos und gönnt Moonee an der Hand ihrer Freundin ein märchenhaftes Ende. (USA/115 Min.)

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