1835 schrieb Nürnberg Medizingeschichte (Teil 5)

4.10.2010, 17:02 Uhr
1835 schrieb Nürnberg Medizingeschichte (Teil 5)

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„100 gereinigte Gläser wurden mit fortlaufenden Nummern von 1 bis 100 versehen, gut durchmischt und je zur Hälfte auf zwei Tische gestellt“, hat Michael Stolberg recherchiert. „Die Hälfte der Gläser wurde mit der potenzierten Kochsalzlösung, die andere mit reinem destilliertem Schneewasser gefüllt. Löhner fertigte ein Verzeichnis der Gläschennummern mit der Angabe des jeweiligen Inhalts an, das sofort von der Kommission versiegelt wurde.

Sämtliche 100 Gläser wurden nun nochmals gründlich durchmischt und der Kommission zur Verteilung an die Versuchspersonen übergeben. Weder die Kommission noch die Versuchspersonen hatten somit Kenntnis des jeweiligen Gläscheninhalts.“ Solch eine Versuchsanordnung heißt doppelbind, weil weder Arzt noch Patient wissen, wer das Verum und wer das Placebo bekommt.

Alle Teilnehmer werden eingeladen, mündlich am 12. März im „Rothen Hahn“ oder zuvor schriftlich über ihre Erfahrungen zu berichten. Erst nach Protokollierung der Berichte wird das versiegelte Verzeichnis geöffnet, das Auskunft darüber gibt, wer von den Probanden die Kochsalzlösung eingenommen hat und wer das reine Wasser.

Und wie ist er nun ausgegangen, der erste „Homeopathic Challenge“? Ernüchternd – für Johann Jakob Reuter. Die große Mehrheit (42) gibt an, nichts Ungewöhnliches im Befinden bemerkt zu haben – von ihnen hatten 19 das homöopathische Arzneimittel und 23 das Schneewasser eingenommen. „Die übrigen acht berichteten vor allem von leichten Unterleibsbeschwerden oder Erkältungen“, schreibt Stolberg. „Fünf von ihnen hatten potenziertes Kochsalz und drei reines Wasser erhalten.“

Doch das Ziel, die Öffentlichkeit von der Nichtigkeit der Homöopathie zu überzeugen und dem homöopathischen Treiben im Königreich und in Nürnberg den Garaus zu machen, erreichen die Gegner nicht. Reuter avanciert nach Eigendarstellung gar zum „beschäftigtsten Arzt der Welt“ und protzt mit „täglich hundert Patienten“. Das zeitgenössische Publikum wiederum sieht sich „einmal mehr in der Überzeugung bestätigt, dass man ärztlichen Versprechungen gleich welcher Art am besten grundsätzlich mit gesundem Misstrauen begegnete“.

Und so kann die Erlanger Medizinhistorikerin Prof. Renate Wittern-Sterzel am Ende in einem Satz zusammenfassen: „Die Diskussion um die Homöopathie wird weitergehen.“

Bernd Harder ist Vorstandsmitglied in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und Chefreporter des Magazins „skeptiker“, das sich der Esoterik-Kritik widmet. Soeben ist sein neues Buch „Warum die Uhr stehenblieb, als Opa starb“ als Knaur-Taschenbuch erschienen.

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