Armes, reiches Erlangen

12.8.2008, 00:00 Uhr
Armes, reiches Erlangen

© Iannicelli

Berührungspunkte oder gar Beziehungen zwischen den beiden Gruppen gibt es bis auf Kindergarten, Kirchengemeinde, Schule oder das Jugendzentrum «Easthouse« kaum. Die anfänglichen Probleme, die auffällige Jugendliche in der Housing Area bereitet haben, sind beseitigt, sagt Bürgermeisterin und Sozialreferentin Elisabeth Preuß erleichtert. Die Stadt hat in dem Problemviertel die professionelle Sozialarbeit verstärkt. Ein neues Bürgerzentrum soll die beiden Bevölkerungsgruppen näher zusammenbringen. Ein soziales Wohnprojekt der Josephsstiftung befindet sich bereits am Röthelheimpark. Außerdem plant die GeWoBau dort noch 60 Wohnungen für Mieter aus dem unteren Einkommensbereich. «Wir wollen eine gesunde Durchmischung der Bevölkerung«, betont die FDP-Politikerin.

Dafür legt sie sich auch gerne mit der eher wohlhabenden Klientel an. «Ich rege mich maßlos auf, wenn jemand Hartz-IV-Empfänger mit asozial gleichsetzt.« Es sei niemand vorm Abstieg gefeit: Scheidung, Entlassung oder Krankheit können jeden treffen. Deshalb will Preuß Vorurteile abbauen - auf beiden Seiten. «Es gibt auch bei den Bewohnern der Housing Area Vorbehalte; manche sagen: ,Ich will mit den Snobs von nebenan nichts zu tun haben‘.«

Das Gebiet im Stadtosten macht den Kontrast zwischen arm und betucht augenfällig. Diese Gegensätzlichkeit ist für die Universitätsstadt mit einem bundesweit überdurchschnittlich hohen Pro-Kopf-Einkommen symptomatisch. Hier die (immer noch) gut verdienenden Siemensianer, die im dunklen Anzug oder vornehmen Kostüm geschäftig von einem Meeting zum nächsten laufen. Wenn sie nicht außerhalb in Ortschaften wie Bräuningshof oder Uttenreuth wohnen, lassen sie sich neben dem Röthelheimpark am liebsten am Burgberg, in Sieglitzhof oder In der Reuth nieder.

Dort die Bedürftigen, die vor den Ausgabestellen der Tafel lange Schlangen bilden. «Es kommen jede Woche neue Familien hinzu«, beobachtet Jörg Schultz, seit 1998 im Diakonischen Werk für die Erlanger Tafel verantwortlich. Die Einrichtung versorgt wöchentlich bis zu 500 Familien mit Lebensmitteln, in der Region Erlangen besitzen inzwischen 3000 Familien einen Berechtigungsschein. Vor allem Langzeitarbeitslose, Rentner, Alleinerziehende oder Familien mit vielen Kindern sind auf die Spenden angewiesen. «Es kommen aber auch immer mehr aus der Mittelschicht; Menschen, die ihren guten Job verloren haben«, erzählt er.

Am Anfang hat Schultz die Armut in der doch recht reichen Stadt schockiert. Er habe sich nie vorstellen können, dass es in Erlangen so viele Bedürftige gibt. «Man denkt immer nur an Siemens und Uni. Aber es gibt ebenso eine andere Seite.«

Diese andere Seite sieht auch Joyce Holzheimer tagtäglich. Die ehemalige Chefsekretärin, die aus Glasgow stammt, arbeitet seit 13 Jahren in der Bahnhofsmission, seit Januar als Leiterin. Rund 300 Menschen suchen im Monat die Wärmestube am Gleis1 auf, Tendenz steigend. Der winzige Raum reicht für den Bedarf schon lange nicht mehr aus. Langzeitarbeitslose, Ausländer, Drogen- und Alkoholkranke sowie Rentner gehen hier ein und aus. Auch Geringverdiener, deren Lohn einfach nicht zum Leben reicht, sind unter den Besuchern. Die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen nehmen sich Zeit für ihre Sorgen und Nöte. «Es gibt hier so viele einsame und arme Menschen«, stellt die 56-Jährige mit fränkisch-schottischem Akzent fest.

Die Ersten warten schon in der Früh vor der Tür. Frieda Oppelt hat um halb zehn ihren Kaffee bereits getrunken. Die Brote packt sich die 79-Jährige ein, sie nimmt sie mit nach Hause; damit sie auch am Nachmittag noch etwas hat. Das aber sagt sie nicht. Sie könne nicht so viel auf einmal essen, sagt sie fast entschuldigend. Etwa 300 Euro hat die ehemalige Spülerin im Monat zum Leben, die Miete für die Zwei-Zimmer-Wohnung in Bruck übernimmt das Sozialamt. Schon jetzt, am Monatsanfang hat die Seniorin fast kein Geld mehr in der Tasche. «Manchmal«, sagt Frieda Oppelt leise, «denke ich mir schon: Manche haben alles und manche gar nichts.«

Auch Nasser ist in der Bahnhofsmission Stammgast. Der 57-jährige Iraner ist seit sieben Jahren arbeitslos, einige Zeit hat er in einer Obdachlosenpension gewohnt. Nun hat er eine kleine Wohnung in der Innenstadt, zum Leben reicht ihm das Arbeitslosengeld II nicht. «Es ist mir nicht peinlich, dass ich hierherkommen muss, aber schön ist es auch nicht«.

Die Kommunalpolitikerin Preuß verschweigt die zwei Seiten der Medaille Erlangen nicht. «Auch in unserer Stadt gibt es wirkliche Armut«, sagt sie. Die Wohlhabenderen würden dieses Problem zunehmend ernst nehmen und sich als großzügig erweisen: «Die Reichen haben ihr soziales Gewissen nicht abgelegt.«

So ganz kann das die Leiterin der Bahnhofsmission nicht bestätigen. «Die Spenden sind rückläufig«, bedauert Holzheimer. Auch Geschäfte und Supermärkte gäben in letzter Zeit für die Einrichtung der Diakonie immer weniger. Wenn sie dann in der Stadt Menschen beobachtet, die mal eben mir nichts, dir nichts Hunderte Euro ausgeben, findet sie das schrecklich. «Nur die, die selbst wenig haben, geben viel«, sagt sie und lächelt dabei milde.

Wo bringen die finanziell gut gestellten Erlanger ihr Geld hin? Die exklusive Käse-Ecke Waltmann galt lange Zeit als «Apotheke«. Nun kaufen in dem bundesweit renommierten Fachgeschäft für Rohmilchkäse Wohlhabende und weniger Gutverdienende gleichermaßen. «Wir haben Kunden aus allen Schichten, bunt gemischt«, sagt Inhaber Volker Waltmann. Er biete unter den rund 250 Sorten auch günstigen Käse an, betont er.

Zwar beliefert der Franke - der sich mit dem französischen Ehrentitel «Maître Affineur« schmücken darf - 250 Gourmettempel in ganz Deutschland, dennoch legt er Wert auf Bodenhaftung. Allein von Frau Professor Doktor Soundso könne und wolle er nicht leben.

Natürlich kämen auch sehr Reiche zu ihm, daraus mache er gar keinen Hehl. Die aber seien eindeutig in der Minderheit. «Bei uns trifft der Bankdirektor auf seinen größten Schuldner und der Professor auf seinen Studenten«, formuliert Waltmann griffig. Dieser Satz ist tatsächlich mehr als ein werbewirksamer Slogan. Denn die «Käse-Waltmann-Happy-Hour« ist unter Erlanger Studenten seit Jahren ein Geheimtipp. Studenten, die kurz vor Ladenschluss kommen, kriegen kleine Stückchen zum Sondertarif. Zum einen entspringe diese Geschäfts-Philosophie seinem sozialen Verständnis, zum anderen erschließe er sich somit gleich künftige Kunden, erklärt der 40-Jährige. «Als Student haben die meisten noch wenig Geld, später aber verdienen sie oft recht gut. Wenn sie dann weiterhin bei uns einkaufen, sind wir zufrieden.«

Das wäre Bettina Stenner-Stein, Chefin des Modehaus Doeller, sicherlich auch. Leider kann die Boutiqenbesitzerin von einem Publikum quer durch die Bevölkerung nur träumen. «Es gibt in Erlangen und Umgebung wirklich genug vermögende Leute, aber die kaufen nicht in der Stadt ein.« Die wohlhabenderen führen nach Nürnberg, München oder sogar noch weiter, um sich einzukleiden. Dabei habe das Traditionsgeschäft in der Innenstadt für die Dame doch sehr vieles zu bieten.

Erlangen leide jedoch unter einem Negativ-Image. «Viele glauben, was die Einzelhändler anbieten, taugt nichts.« Kollegen ergehe es ähnlich, weiß die 50-Jährige, die im Lenkungsausschuss von Handel, Stadt und Politik sitzt. Besucher aus einer anderen Stadt schätzten den Schaufensterbummel durch Erlangen mehr als die Einwohner selbst: «Die Erlanger sind Weltmeister darin, die eigene Stadt schlecht zu reden.«

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