Aus Mitleid wird Misstrauen

8.9.2007, 00:00 Uhr

Jeder konnte Kate McCann die Erschöpfung ansehen, als sie im Hafenstädtchen Portim-o erneut bei der Kriminalpolizei zum Verhör erschien. Die halbe Nacht lang war sie schon vernommen worden. Was sich dann auf der kurzen Strecke von ihrem Auto bis zur Tür des Büros der «Policia Judiciária» abspielte, machte deutlich, wie sehr sich die Stimmung gewandelt hat. Die Szene erinnerte an einen Spießrutenlauf.

In den ersten Wochen nach dem Verschwinden Madeleines, als noch niemand anzweifelte, dass die Dreijährige von Unbekannten aus der Ferienwohnung ihrer Eltern entführt wurde, gab es eine große Welle der Sympathie und des Mitleids. Jetzt muss Kate McCann gehässige Bemerkungen über sich ergehen lassen, als sie gezwungen war, an einem Spalier von Schaulustigen vorbeizugehen.

Die schlanke blonde Ärztin trug ein weißes Top und darüber eine dünne rosa Strickjacke. Die blassrosa Knuddelkatze von Madeleine schaute - fast schon demonstrativ - aus Kates Rucksack.

Portugiesische Zeitungen hatten berichtet, Kriminaltechniker hätten Leichengeruch an Kleidungsstücken von Kate MCann ausgemacht - und auch an der Knuddelkatze, die Kate McCann in der Öffentlichkeit ständig bei sich trug. Kate habe den Leichengeruch mit ihrer Arbeit als Ärztin erklärt, war in den Blättern zu lesen.

Empört gaben sich einmal mehr britische Zeitungen, die sich in den letzten Wochen wiederholt darin geübt hatten, die portugiesischen Ermittler als unfähig darzustellen. Am Freitag berichteten sie von dem Verdacht, Kate und Gerry McCann sollten «geleimt» werden. Weil sie keinerlei Erfolge vorzuweisen hätten, wollten die Portugiesen nun möglicherweise die Eltern von Madeleine als Täter erscheinen lassen.

Kate McCann werde von der Polizei unter Druck gesetzt, hieß es auch in portugiesischen Medien. Bei den Verhören sei sie mit Widersprüchen konfrontiert worden. So habe eine 70-jährige britische Nachbarin der McCanns in deren Ferienanlage in Praia da Luz ausgesagt, die Eltern hätten nicht so oft nach dem Mädchen geschaut, wie sie behaupteten. Außerdem hätte sich die Frau in der Nacht des Verschwindens von Madeleine angeboten, die Polizei zu alarmieren; Kate soll sie jedoch mit dem Hinweis gestoppt haben, dies bereits erledigt zu haben. In Wirklichkeit sei ihr Anruf aber erst 40 Minuten später eingegangen.

Nie zuvor hat ein Vermisstenfall weltweit derartige Aufmerksamkeit erfahren. Die McCanns hatten dafür mit einer enormen Kampagne gesorgt, darunter mit einem Fürbittbesuch bei Papst Benedikt XVI. im Vatikan. Dementsprechend groß dürfte der Aufschrei sein, sollte sich herausstellen, dass die Eltern am Verschwinden ihres Kindes, vielleicht gar an dessen Tod beteiligt waren. Doch von einem solchen Vorwurf scheinen die Ermittler noch weit entfernt zu sein.

Das hält britische Zeitungen nicht davon ab, über das Geschehen am Abend des 3. Mai zu spekulieren. «Habt Ihr Maddie ruhiggestellt?» fragte die «Sun» in Balkenüberschrift. Sie will erfahren haben, dass die Ermittler nun der These nachgehen, dass das Ärzte-Ehepaar Mc-Cann seiner kleinen Tochter Beruhigungsmittel gegeben haben könnte, um ungestört mit Freunden in einer Tapas-Bar feiern zu können - möglichrweise versehentlich eine Überdosis. Thomas Burmeister/

Jörg Vogelsänger, dpa

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