«Da lag Nürnberg mit seinen roten Dächern»

17.9.2008, 00:00 Uhr
«Da lag Nürnberg mit seinen roten Dächern»

«Die Burg hoch oben auf einem Sandsteinfelsen, von allen Seiten uneinnehmbar, hat die Jahrhunderte und alle Belagerungen überdauert und blickt noch immer stolz auf die Stadt und ihre Umgebung herab. Hier residierten glanzvoll die Kaiser, nach ihnen die Burggrafen und die mächtigen Hohenzollern. Kaiser Karl IV. verlieh ihnen zum Dank für treue Dienste den Titel eines Reichsfürsten, Kaiser Sigismund erhob sie zu Kurfürsten von Brandenburg.

Von der Nürnberger Burg erhob sich mit Hilfe Friedrichs des Großen der schwarze Adler, der nun über der Hälfte des Germanischen Reiches schwebt, während der alte kaiserliche, früher so stolze und mächtige Adler seinen Doppelkopf nur innerhalb der Grenzen Österreichs zeigen kann.

Die Nürnberger Burg ist nur dem Namen nach eine Burg, denn statt Waffen und Rüstung beherbergt sie eine Bildergalerie, in der man die besten Meisterwerke der Deutschen Schule bewundern kann. Dürer, der große Maler, den Nürnberg voll Stolz seinen Sohn nennt, hat hier das Bildnis Karls des Großen, eines seiner herausragendsten Werke, platziert, ebenso Sigismund im kaiserlichen Gewand mit Insignien und vier weitere Gemälde, die vier Apostel zeigend. München zweifelt die Originalität der Bilder an, Nürnbergs Antwort: Der Magistrat, der Maximilian von Bayern die Bilder verkaufte, gab ihm nur Kopien.

Da ich Dürer erwähnte, will ich auch einige Worte über ihn sagen. Seine Spuren sind in seiner Heimatstadt überall zu finden, eine Brücke, eine Straße, ein Brunnen und eine Künstlervereinigung sind nach ihm benannt. Sein Geburtshaus existiert noch und wird Fremden gezeigt, obwohl er bereits 1528 starb. Seine Mitbürger haben ihm ein Denkmal errichtet. Nicht zu vergessen das Dürer-Album, das von den berühmtesten, lebenden Künstlern geschmückt und verziert wurde. Dürer bedeutet für Nürnberg, was Gutenberg für Mainz oder Schiller für Weimar ist.

Sein Haus wurde von der Stadt gekauft, um es der Künstlervereinigung zur Verfügung zu stellen, die darin eine Dauerausstellung eingerichtet hat. So soll es sein: Das Haus eines großen Mannes soll zum Nationaldenkmal werden. Dürers Haus ist jetzt eine Gemäldegalerie, Molières Geburtshaus dagegen der Laden eines Wollwarenhändlers!

Die Stadtbibliothek von Nürnberg beherbergt eine interessante Sammlung literarischer Antiquitäten, darunter die erste gedruckte Bibel von Johann Fust und Peter Schöffer, den beiden treulosen Gesellen Gutenbergs, sowie ein Hebräischer Codex des Alten Testaments von Rushi Samuel in zwei Bänden, ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert.

Martin Ketzel, Spross einer berühmten Kaufmannsfamilie, unternahm 1477 eine Pilgerreise nach Palästina, um die exakte Zahl von Schritten zwischen dem Haus von Pontius Pilatus nach Golgatha zu ermitteln. Eine einzigartige Idee, von der die Kunst profitieren sollte. Ketzel hatte vor, bei seiner Rückkehr dieselbe Distanz von seinem Haus zum Johannisfriedhof abzumessen und auf dieser Strecke sieben Kreuzwegstationen des berühmten Bildhauers Adam Krafft aufzustellen und an deren Ende die Kreuzigungsgruppe. Als Ketzel nach Nürnberg zurückgekehrt war, hatte er die Anzahl der Schritte vergessen. Ein anderer wäre vielleicht verzweifelt, doch er griff ohne zu zögern zum Wanderstab und machte sich nochmals auf den Weg ins Heilige Land. Diesmal merkte er sich die Anzahl der Schritte und begann sofort nach seiner Rückkehr, sein Projekt in die Tat umzusetzen. Die Kreuzwegstationen (heute im GNM, die Kreuzigungsgruppe befindet sich im Heilig-Geist-Spital) existieren noch immer, und mit Ausnahme

von ein oder zwei Figuren, die reparaturbedürftig sind, befinden sie sich noch in so perfektem Zustand, wie sie die Hand des Bildhauers verlassen hatten.

Von der Bibliothek lief ich durch mehrere schlecht gepflasterte Straßen zur Lorenzkirche, um einen Blick auf Nürnberg werfen zu können, so wie Fremde auf die Türme von Notre Dame steigen, um Paris zu sehen. Ich klopfte an die Kirchentür, da sich die Treppen zum Turm im Kirchenschiff befinden und die Kirchen nur sonntags geöffnet sind. Die Tochter des Mesners öffnete, begleitete mich zur Treppe und sagte: ,Ich lasse Sie alleine nach oben gehen, seien Sie vorsichtig beim Herunterkommen, nehmen Sie nicht aus Versehen die falsche Treppe, denn die führt in die Grabgewölbe, wo Sie sich wahrscheinlich verirren würden.‘ Oben angekommen traf ich auf den Mesner, der mich mit zuvorkommender Höflichkeit begrüßte und auf die Brüstung führte, wo mich ein wirklich wundervoller Ausblick erwartete. Da lag Nürnberg mit seinen roten Dächern, Tausenden von Wetterhähnen, um die Stadt ausgedehnte prächtige Obstgärten, weiter draußen kultivierte und fruchtbare Ebenen, und nicht zuletzt der ausgedehnte

Reichswald.

Aber ich will den Mesner als Fremdenführer sprechen lassen. ,Nürnberg‘, sagte er, ,bestehend aus den Stadtteilen St. Sebald und St. Lorenz, so benannt nach ihren Hauptkirchen, ist in 72 Viertel oder Distrikte aufgeteilt, und jeder Distrikt ist einem seiner angesehensten Einwohner unterstellt. Es gibt acht Eingangstore, die vier Haupttore sind seit dem 16. Jahrhundert von massiven Türmen flankiert, die Kanonen mit der Öffnung nach oben gleichen. Sicher haben Sie die Burg, die alte Kaiserresidenz, besucht. Ihre Majestäten, der König und die Königin von Bayern haben hier kürzlich ein paar Tage verbracht.

Sie wollten das Lager sehen, das auf der Ebene zwischen Fürth und Nürnberg aufgeschlagen war. Ohne diesen Platz zu verlassen, sah ich alle Manöver durch mein Teleskop. Jener Turm, den Sie nach der Burg sehen, ist das älteste Gebäude der Stadt, er stand schon lange bevor eines der Häuser, die sie jetzt sehen, gebaut war. Man sagt, dass die Römer ihn als Observatorium nutzten und er auf Geheiß von Nero errichtet wurde; daher Sir, kommt der Name unserer Stadt, Neroberg das zu Nuremberg (Nürnberg) verfälscht wurde.

Daneben steht der Heidenturm, ebenfalls sehr alt, er enthält die Ottmar-Kapelle und die St. Margaret-Kapelle, die übereinander liegen. Beachten Sie die große Linde im Burghof, gepflanzt, so sagt man, von Kaiserin Kunigunde, Gemahlin Heinrichs II. Zweifellos ist Ihnen die Geschichte Kunigundes bekannt: Bestimmte Personen hatten es geschafft, bei ihrem Mann Zweifel an ihrer Tugend zu säen. Aber sie beschämte ihre Verleumder, denn sie unterzog sich der Feuerprobe und lief barfuss über glühende Pflugscharen; so bewies sie ihre Unschuld in den Augen des Kaisers und der gesamten Nation. 1200 wurde Kunigunde von Papst Innozenz III. heiliggesprochen.

Zu unserer Rechten steht das Findlings-Hospital, das auch ein Asyl für junge Waisen ist. Schauen Sie nun hinüber nach Fürth. Diese Ebene war früher Schauplatz einiger religiöser Auseinandersetzungen, aber am 12. September 1824 fand eine feierliche Zeremonie statt, die gut geeignet war, die Angst vor der Rückkehr jener unglücklichen Zeiten zu zerstreuen: Die Lutheraner und Calvinisten hatten sich versammelt, um ewige Bruderschaft zu schwören.‘

Hier verließ mich mein Cicerone, bat mich, ihn zu entschuldigen und betrat den Turm; ich hörte die Uhr zweidreiviertel schlagen, dann kam mein Führer zurück. ,Seit 26 Jahren‘, sagte er, ,habe ich die Stunden und Viertel in diesem Turm angeschlagen‘. ,Aber wie kommt es, dass Sie nie einen Fehler machen?‘, fragte ich. Statt einer Antwort, bedeutete er mir, ihm zu folgen, einige Stufen hinauf in eine alte Kammer.

Hier sah ich das schreckliche Horn, das dazu bestimmt ist, der Stadt zu melden, dass ein Feuer ausgebrochen ist. Einige Schritte entfernt, bei einem der Fenster, steht eine alte Uhr, eine etwas modernere in einer Ecke. Nahe der Tür ist ein Anzeiger, der starke Ähnlichkeit mit jenen hölzernen Uhren aus dem Schwarzwald hat. Dieses Instrument zeigt dem Küster durch sein Schlagen an, dass es Zeit ist, die Glocke zu läuten. In der Mitte der Kammer steht ein Tisch, auf dem eine aufgeschlagene Bibel liegt.

Nachdem ich dem Mesner für seine Informationen gedankt hatte, verabschiedete ich mich und ließ in seine Hand eine 24-Kreutzer-Münze (nicht ganz ein Franc) gleiten. Ich musste den guten Mann nötigen, das Geld anzunehmen, da es mehr war, als das übliche Trinkgeld. Ich stieg ins Innere der Kirche hinab und verweilte einige Zeit vor den bunten Glasfenstern, von denen einige sehr alt und von großer Schönheit sind. Dann bewunderte ich das berühmte Tabernakel, eines der Hauptwerke von Adam Krafft. Die ungefähr 20 Meter hohe, wunderbar ausgeführte Pyramide zeigt Szenen aus dem Leben Christi. Sie wird von knienden Figuren getragen, eine davon ist Adam Krafft selbst.

Die ganze Kirche ist angefüllt mit Figuren und Skulpturen, die teilweise so alt sind, dass man die Namen der Künstler nicht mehr kennt. Im Innern der Kirche befinden sich auch die Wappen vieler Patrizierfamilien, daher ist sie ein weites Betätigungsfeld für Maler, Bildhauer, Historiker, Ahnen- und Altertumsforscher. Sie ist ein perfektes nationales Museum, das die Nürnberger voll Stolz zeigen.

Ich könnte noch viele Seiten füllen, wollte ich alle Besonderheiten Nürnbergs erwähnen, aber dieser Brief ist vielleicht schon ziemlich lang, und ich höre jetzt auf, um Ihre Geduld nicht noch mehr zu strapazieren.» Übersetzung: Ursula Tannert

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