Der Dschungel lockt, der Schreibtisch knarzt

25.10.2012, 00:00 Uhr

Zahlen, griechische Buchstaben, rätselhafte Zeichen und Kürzel. Der Herzog lächelt hilflos und weiß mit dem epochalen Werk nichts anzufangen.

So ähnlich geht es auch dem Zuschauer, der sich „Die Vermessung der Welt“ ansieht und dem noch die Lektüre des gleichnamigen Romanerfolgs von Daniel Kehlmann im Hinterkopf herumspukt. Er weidet sich an den Schauwerten, die Detlev Buck in Südamerika vor ihm ausbreitet, an undurchdringlichen Dschungeln, Wasserfällen, exotischen Indianern und der Majestät des Chimborazzo (noch dazu in 3D); aber wie soll er die Abenteuer des Geistes, die Carl Friedrich Gauß an seinem Schreibtisch mit Zahlen und Figuren erlebt, wertschätzen?

Das ist die Crux des Films: Der Romanautor Kehlmann schafft es, auch dem Nichtmathematiker eine Ahnung von nichteuklidischer Geometrie, Gauß‘schen Verteilungskurven, von Astronomie und Landvermessung zu vermitteln; der Filmregisseur Detlev Buck scheitert, indem er schlichtweg Gauß am Schreibpult zeigt bzw. an seiner Braut herumfingern lässt. Das Betasten weiblicher Rundungen und Vertiefungen helfen ihm bei der Berechnung dreidimensionaler mathematischer Probleme.

„Die Vermessung der Welt“, das ist nicht nur ein Abenteuer des Geistes und zweier höchst unterschiedlicher Charaktere, das ist auch der Wettstreit zwischen Disziplin und Genie, zwischen Empirie und Intuition. Während Alexander von Humboldt (1769 - 1859) Südamerika erforscht, bleibt Carl Friedrich Gauß zuhaus und bringt die Mathematik voran. Film wie Roman wechseln parallel zwischen den Figuren und ihren Schauplätzen hin und her und schildern mit unterschwelligem Humor die Nöte des Alltags, an denen sich die genialen Geister reiben, nämlich an der Verständnislosigkeit des Durchschnittsmenschen, die schlussendlich obsiegt.

Im Buch schaukeln sich die Abenteuer der Parallelhandlungen gegenseitig hoch. Im Kino kommt sich der Zuschauer vor wie in den siebziger Jahren vor dem Fernseher, als er noch die Wahl zwischen erstem und zweitem Programm hatte. Trotz der Darstellungskunst eines Florian David Fitz, der den Gauß verkörpert, und der tragikomischen Liebesgeschichte zur Magd Johanna (Vicky Krieps), kann es der Zuschauer kaum erwarten, zu Humboldt (Albrecht Abraham Schuch) in den Dschungel zu zappen. Da ist es bunt, da ist was los, nur weiß Humboldt vor lauter Katalogisieren das Abenteuer nicht zu schätzen. Dafür hält sich sein Compagnon Aime Bonpland (Jeremy Kapone) an nackigen Indianerinnen, Fieberträumen und Lebensrettungen schadlos. Und gerade da fragt man sich: Was hätte ein Werner Herzog, ein Tom Tykwer nicht aus der Vorlage herausholen können? Welche Bilder hätten die inszeniert anstelle des schulmeisterlich-touristischen Panoramas, das Buck und sein Kameramann abspulen?

Und der berüchtigte Buck‘sche Humor? Der erschöpft sich in Platitüden. Mathematiker wie Zahnärzte ziehen gleichermaßen ihre Wurzeln, und der Erforscher eines Kontinents wird im Alter inkontinent – alles bildlich umgesetzt. So bleibt die „Vermessung der Welt“ nicht mehr als die bunte Illustration eines Erfolgromans, ohne dessen schillernden Witz und tiefere Gedankengänge zu erreichen. (Nürnberg: ADMIRAL, CINECITTA; Erlangen: CINESTAR, MANHATTAN)

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