Der Schöpfung direkt ins Auge geblickt

11.10.2010, 00:00 Uhr
Der Schöpfung direkt ins Auge geblickt

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Es gibt wohl nur wenige Anblicke, die einem die raue Schönheit der Natur ähnlich markant vor Augen führen. Eine gigantische Landschaft aus weißen Furchen, Kratern, Schluchten, Tälern und Gipfeln bietet sich dem Betrachter, vom Menschen, ja vom Leben überhaupt, völlig unberührt, und das seit Jahrtausenden. Der Schnee, der hier liegt, wird immer makellos sein. Nichts würde hier oben in 7000 oder 8000 Metern auf Dauer überleben - die Berge Tibets sind in diesen Höhenlagen ähnlich gastlich wie die Antarktis oder der Mond höchstselbst.

Majestätisch gleiten die Bergrücken unter einem weg, einer nach dem anderen, nur um dem nächsten Massiv Platz zu machen, und jedes sucht, das vorhergehende an Zerklüftung, Schattenwurf und bizarrer Ausformung noch zu übertreffen. Viele Gipfel scheinen zum Anfassen nah – obwohl man in rund 11.000 Metern Höhe im Flieger sitzt, also gut 3000 Meter über den Felsriesen. Unweigerlich drängt sich der Gedanke auf: Neben diesen Bergen ist die an sich majestätische Zugspitze kaum mehr als ein recht beachtlicher Hügel.

Der Gedanke, dass sich dennoch immer wieder Menschen in bunten Daunenjacken in einige wenige dieser schneebedeckten Hänge hineinwagen, bepackt mit Seilen, Eispickel und Trockenobst, kommt einem geradezu absurd vor. Was wollen die da oben? Alpinisten sprechen gern davon, einen Berg „bezwungen“ zu haben, wenn sie den Gipfel erreicht haben.

Doch diese eisige Landschaft in Tibets Hochland, die sich bis zum Horizont erstreckt und die Wolken berührt, ist über solche Versuche erhaben. Hier ist das Dach der Welt. Niemand wird es je „bezwingen“.

Aber jeder, der es erblickt, muss es bewundern. Und in sich spüren, dass er soeben der Schöpfung direkt ins Auge blickt. Atemberaubend.