Der verzweifelte Mut einer Mutter

26.9.2005, 00:00 Uhr
Der verzweifelte Mut einer Mutter

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Es sind die Kontraste, die ein Schlaglicht auf unsere Realität werfen: Während das Orchester Beethoven intoniert, sind auf einer Projektionsfläche im Hintergrund beklemmende Bilder zu sehen — etwa eine Gerichtsszene, in der ein Angeklagter, eingepfercht in eine Art Käfig aus Gitterstäben, von grimmig dreinblickenden Milizionären bewacht wird.

In vielen Ländern gehören Gewalt, Rechtlosigkeit und staatliche Übergriffe zum Alltag. Aber überall gibt es auch Menschen, die sich damit nicht abfinden wollen, die sich nicht einschüchtern lassen von Drohungen und Schikanen. Wäre unsere Welt eine bessere, es bedürfte keines Preises für die mutigen Propagandisten der Menschenwürde. So aber ist der Preis, der gestern im Nürnberger Opernhaus an Tamara Chikunova verliehen wurde, ein wichtiges Signal.

In ihrem Kampf gegen Todesstrafe und Folter steht die 57-jährige Usbekin, deren Sohn Dimitri vor fünf Jahren nach einem allen rechtsstaatlichen Prinzipien hohnsprechenden Verfahren hingerichtet wurde, nicht allein. „Die Legitimität des Staates ist auf die unbedingte Achtung vor dem Leben und der Menschenwürde angewiesen“, betont Bundesinnenminister Otto Schily in seinem Grußwort.

Das allerdings sieht der usbekische Diktator Islam Karimow ganz anders, weshalb Berlin jetzt 14 politischen Flüchtlingen aus dessen Herrschaftsbereich Asyl gewährt hat. Eine humanitäre Geste, die auch ein bisschen auf das Engagement der Preisträgerin zurückzuführen ist: „Sie haben Öffentlichkeit geschaffen“, so Schily an die Adresse von Frau Chikunova.

Auch Bayerns Innenminister Günther Beckstein würdigt den „enormen Mut“ jener Frau, die ihr eigenes Leid nicht in Resignation hat verharren lassen. „Viele Menschen wären an einem solchen Schicksal zerbrochen“; Tamara Chikonova aber habe die Kraft entwickelt, sich für andere einzusetzen.

Was der Verlust eines Kindes bedeutet, weiß wohl niemand besser einzuschätzen als Nora Morales de Cortiñas, deren Sohn 1977 wegen seines sozialen Engagements von der argentinischen Junta verschleppt wurde. Seither fehlt von ihm jedes Lebenszeichen, indes wurde auch sein Tod nie bestätigt — und so hat die Mitbegründerin der „Mütter von der Plaza de Mayo“ keinen Ort, an dem sie trauern könnte. Dass korrupte Regime Kritiker foltern und „eliminieren“ sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, so die Laudatorin, die anschließend von Frau Chikunova lange umarmt wird — einer der bewegendsten Momente an diesem Vormittag.

„Ich kämpfe dafür, dass Mütter nicht mehr weinen müssen,“ umreißt die Preisträgerin in ihrer Dankesrede das Ziel ihrer Organisation. Die Ächtung der Todesstrafe bedeute nicht, Verbrechen zu verharmlosen, derentwegen Menschen verurteilt werden; doch welcher Staat, welcher Richter dürfe sich anmaßen, darüber zu entscheiden, „wer am Leben bleiben darf und wer sterben muss“? Zudem lasse sich das Risiko der Hinrichtung Unschuldiger nicht vermeiden — Revision unmöglich.

Wichtiger noch als das Preisgeld, das der Verleger der Nürnberger Nachrichten, Bruno Schnell, gestiftet hat, ist die Solidarität, die in der Ehrung zum Ausdruck kommt, denn: „Den Kampf gegen die Gewalt kann niemand allein gewinnen.“

Nicht nur in diktatorischen Regimes gilt es, die Menschenwürde täglich aufs Neue zu verteidigen. Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly bringt es auf den Punkt: Die Weltgemeinschaft habe noch einen langen Weg vor sich, bis die Grundrechte überall Geltung fänden. „Aber auch dieser Weg beginnt mit einem ersten Schritt — und den müssen wir vor unserer Haustüre gehen.“

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