Die Stadt bietet alles, was Traceure brauchen

19.2.2011, 11:15 Uhr
Die Stadt bietet alles, was Traceure brauchen

© Uwe Niklas

Kirbach ist Parkour-Sportler, in der Fachsprache Traceur. Alles, was er für die akrobatischen Einlagen benötigt, sind saubere Sportschuhe, um die Wände nicht zu verschmutzen, eine locker sitzende Hose, trockenes Wetter – und die „Möbel“ einer Stadt.

Früher war Kirbach Feldhockeytorhüter, doch „irgendwie forderte mich der Sport nicht“, sagt der 20-Jährige. Er hat sein Revier mit Parkour nun weiter gesteckt, als ihm Latte, Pfosten und Netz jemals bieten konnten. Es erstreckt sich über ganz Nürnberg. Am Hauptbahnhof bieten sich schier endlose Möglichkeiten, ebenso rund um die Kaiserburg, die Lorenzkirche, das Cinecitta oder am Rathenauplatz. Sein Lieblingsplatz ist aber der weitläufige Luitpoldhain. „Da gibt es genug Fläche, um neue Tricks zu versuchen, bevor ich sie auf dem harten Asphalt ausprobiere.“

Videos im Internet haben den Auszubildenden auf die Sportart gebracht. Auf der Trampolinanlage am Dutzendteich hat er vor vier Jahren zusammen mit seinen Freunden Robert Bretz und Mark Michaud seine ersten Versuche gestartet. Seitdem trainiert er fast täglich.

Im Winter müssen Parkour-Sportler jedoch meist in die Halle ausweichen. Die Verletzungsgefahr ist wegen Schnee, Matsch und Eis zu hoch. Das Hallentraining hat Michaud möglich gemacht, der beim TV Glaishammer bereits viele Jahre die Leichtathletik-Jugend trainiert hatte. Im Mai gründete der 21-jährige Chemie- und Bioingenieurstudent eine eigene Abteilung im Verein, um seiner Lieblingssportart zu mehr Bekanntheit und vor allem zu einer Halle zu verhelfen.

Nun trainieren die etwa 30 Mitglieder der Parkour-Abteilung jede Woche ein- bis zweimal in der Turnhalle des Neuen Gymnasiums. Der Zulauf ist enorm. Hier trainieren ehemalige Turmspringer, Karatekämpfer, Leichtathleten und Bodenturner. Und jede Woche werden es mehr.

Immer mit dabei sind auch die Zwillinge Max und Stefan Müller. Während viele ihrer Freunde in der C- oder D-Jugend Fußball spielen, erobern die 14-Jährigen die Nürnberger Spielplätze. „Dort kann man gut trainieren, weil man im Sand weich fällt, sollte ein Trick mal nicht so gelingen“, sagt Stefan. Heute setzt er jedoch auf die weiche Turnmatte in der Halle, um seinen derzeitigen Lieblingssprung zu perfektionieren, den sogenannten Aerial. Das Rad ohne Hände übt er am liebsten vom Kasten auf die Weichbodenmatte. Die nächste Schwierigkeitsstufe ist derselbe Trick auf einer ebenen Fläche. „Beim Fußball kann man nur schwer seine Erwartungen an sich selbst erfüllen. Beim Parkour schon“, ist Stefan begeistert.

Die Stadt bietet alles, was Traceure brauchen

„Wer bei uns anfängt, muss als erstes unter Beweis stellen, dass er Vorwärts- und Rückwärtsrolle sowie ein Rad schlagen kann und einen Handstand hinbekommt“, sagt Abteilungsleiter Michaud. Der Test, liebevoll Bodenturnprüfung genannt, hilft dem Trainer, die Fähigkeiten des Anfängers einzuschätzen. „Wenn sich herausstellt, dass jemand nicht ausreichend Sprungkraft oder nach drei Salti hintereinander massive Probleme mit dem Orientierungssinn hat, dem rate ich von diesem Sport ab“, sagt der 26-Jährige.

Parkour geht wie alle akrobatischen Sportarten auf die Fußgelenke. Sie müssen das gesamte Körpergewicht bei Salti und anderen Sprüngen abfangen. „Verletzungsträchtiger ist der Sport deshalb aber nicht“, sagt Michaud, „Sicherheit hat bei unserem Training oberste Priorität.“

Die 1980er Jahre gelten als die Geburtsstunde des Parkour. In einem Vorort von Paris versuchte sich der Franzose David Belle an der effizienten Fortbewegungskunst. Die betongepflasterten Vororte waren ideal für die ersten Sprünge zwischen Mauern und Hauswänden. Sein bester Freund Sebastian Foucan verhalf dem Sport 2006 durch seine Nebenrolle bei „Casino Royale“ an der Seite von James-Bond-Darsteller Daniel Craig endgültig zum Durchbruch.

Die französischen Trickbegriffe wurden mit steigender Popularität, vor allem in den USA, durch die englischen Entsprechungen ersetzt. Der ursprüngliche Parkour-Sport ohne Salti, also Hindernisse möglichst schnell und effizient zu überwinden, wurde mit der Zeit durch die Disziplinen „Tricking“ (Bewegungen aus Kampfsportarten, Akrobatik sowie Breakdance) und „Freerunning“ (Tricks in die Bewegung mit einbauen) ergänzt.

Noch hat es Parkour nicht aus der Abteilung Trendsportarten herausgeschafft. Obwohl ihn theoretisch Akteure aller Altersstufen ausüben können, begeistern sich vor allem Jugendliche für den akrobatischen Sport. Auch wenn die Szene in Nürnberg relativ groß ist, gelten Köln und München als die deutschen Hochburgen.

Kevin Kirbach, der zu den erfahrensten in der Parkour-Gruppe zählt, schätzt seine Könnensstufe „normalgut“ ein. Sein Ziel ist es, irgendwann einen dreifachen achsenverschobenen Salto Rückwärts mit eineinhalbfacher Schraube, den sogenannten Triple Cork, zu schaffen. „Im Moment können den Trick nur sechs Menschen weltweit.“ Unter anderem der 19-jährige Finne Veli-Matti „Vellu“ Saarela, der den Triple Cork als Erster gestanden hat und als weltweit bester „Tricker“ gehandelt wird. „Um so gut zu werden, fehlen uns allerdings Federmatten und andere spezielle Parkour-Geräte“, bemängelt Kirbach die für Parkour wenig geeigneten Gerätschaften in der Halle.

Das Training ist gewollt locker gehalten. Nach einer kurzen Aufwärm- und Dehneinheit wird die Musik laut aufgedreht, und die Sportler verteilen sich an der langen Weichbodenmatte, den Geräten oder der großen Mattenfläche. „Manche gehen mit dem Vorsatz ins Training, einen bestimmten Trick schaffen zu wollen. Andere entscheiden spontan, was sie trainieren“, sagt Michaud. Nicht selten finden sich zwei zusammen, die sich gegenseitig pushen, indem sie auf den Trick des anderen noch eine Drehung oder einen Salto mehr packen. Das Ziel ist nicht der Sieg über den anderen, sondern die eigene Überwindung, immer schwierigere Tricks auszuprobieren.

Sobald der Frühling die Stadt erobert, werden die Parkour-Sportler des TV Glaishammer jede Minute im Freien trainieren. Dann ist im wahrsten Sinne des Wortes wieder Zeit für Öffentlichkeitsarbeit. So wie auch während der „Blauen Nacht“ vor vier Jahren. Kirbach und seine Freunde zeigten in der Innenstadt, ganz in Blau gekleidet, dass Traceure wahre Bewegungskünstler sind. Und die Zuschauer waren begeistert.

Training ist jeden Samstag, 13–16 Uhr. Infos unter: www.nbg-movement.webs.com

 

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