Doku-Zentrum seit zehn Jahren erfolgreich

26.10.2011, 07:27 Uhr
Doku-Zentrum seit zehn Jahren erfolgreich

© Harald Sippel

Eigentlich war die Schätzung gar nicht untertrieben. Mit 100.000 Besuchern im Jahr hatte man bei der Konzeption für das Dokumentationszentrum gerechnet. Dass es einmal doppelt so viele sein würden, ahnte niemand. „Wir sind von der Zahl der Menschen ausgegangen, die sich die alte Ausstellung zum Thema Faszination und Gewalt in der Zeppelintribüne angesehen haben.

Das waren zwischen Oktober und Mai immer rund 35.000 Leute“, sagt Hans-Christian Täubrich. Natürlich freut ihn die unerwartet hohe Resonanz. Und sie tut gut. „Es ist ein deprimierendes Thema, mit dem wir uns beschäftigen. Aber das Echo bestärkt uns in unserer Arbeit. Wenn wir uns die bis heute kontinuierlich positiven Kommentare im Besucherbuch ansehen, zeigt uns das, dass wir alle in Nürnberg etwas richtig gemacht haben.“

Zehn Jahre sind eine lange Zeit, wenn sich die Gesellschaft ununterbrochen runderneuert. Die Menschheit ist ständig in Bewegung, ihr Umgang mit Informationen verändert sich. Da steht auch die Erinnerungsarbeit vor neuen Aufgaben.

Die Menschen, die aus eigener Erfahrung von dem Leid berichten können, das der Nationalsozialismus über die Welt gebracht hat, stehen am Ende ihres Lebens. Ihre Stimmen werden eines Tages ganz verstummt sein, ihre Berichte über die unvorstellbare Grausamkeit der NS-Diktatur werden den nachfolgenden Generationen nur als geschriebenes Wort bleiben, als Tondokumente.

„Wir stehen mit der Form von Geschichtsvermittlung an der Schwelle zu einer anderen Zeit“, sagt Täubrich. „Ohne Zeitzeugen sind wir stärker auf die Archive angewiesen.“ Und gleichzeitig würden die Bezüge der Besucher zum Thema Drittes Reich dünner. „Kaum noch jemand hat Großeltern, die vom Krieg erzählen. Die jungen Leute sind unbelastet von der Geschichte. Und sehr unbefangen.“

Vom Konzept der Dauerausstellung „Faszination und Gewalt“ ist Täubrich nach wie vor überzeugt. „Das ist durchdacht, eine runde Sache.“ Manchmal äußerten Besucher den Wunsch, mehr über die Rolle der Wirtschaft oder der Kirchen in der NS-Zeit zu erfahren. „Aber das sind Themen die wir in anderer Form angehen. In Einzelausstellungen zum Beispiel.“

Nach heutigen Maßstäben, glaubt Täubrich, würde man bei der Darstellung der perfiden Perfektion, die die Nazis bei ihren Masseninszenierungen walten ließen, vermutlich stärker auf Emotionen setzen. Vor allem, um die jungen Menschen zu erreichen. „Man müsste sie noch sehr viel direkter mit der Frage konfrontieren: Was wäre wenn?

Was hättest du empfunden, wenn du inmitten von zigtausend Fahnen gestanden hättest?’“ Um das zu erreichen, seien heute mehr Mittel denkbar und erlaubt als noch vor zehn Jahren. „Wir haben uns immer sehr stark der politischen Korrektheit verschrieben und uns darauf konzentriert. Aber unsere Arbeit ist alles andere als statisch. Sie orientiert sich auch an den Belangen der Schulklassen, die zu uns kommen. Spannend wäre es natürlich zu erleben, wie das Dokumentationszentrum in 25 Jahren aussieht.“

Wichtig ist Täubrich im Hier und Jetzt die Zusammenarbeit mit anderen Gedenkstätten und Dokumentationszentren in Europa. „Es ist notwendig, dass wir ein Netzwerk schaffen“, sagt er. „Wir erzählen alle die gleiche Geschichte, aber aus anderen Perspektiven und mit anderen Schwerpunkten.“ Der Austausch mit polnischen Gedenkstätten funktioniert schon gut, mit Frankreich wird er intensiviert.

Demnächst werden die Nürnberger in Oradour sur Glane, wo die SS 1944 ein Massaker an der Zivilbevölkerung angerichtet hat, eine Ausstellung über die Hitlerjugend zeigen. „Das ist ein sehr sensibler Ort“, sagt Täubrich. „Dass wir dort ausstellen dürfen, kann man gar nicht hoch genug schätzen.“ Für das Dokumentationszentrum selbst ist eine Sonderschau zur „Arisierung in Nürnberg und Fürth“ im Entstehen, die Eröffnung ist für Sommer 2012 geplant. Es ist wieder eine Arbeit, die bedrückt und aufwühlt. Weil sie zutage befördert, wie die Menschen nach und nach alles verloren, mit welch abscheulicher Akribie die Nazis vorgingen – und wie sich auch die Sprache schließlich zu einem Vehikel der Grausamkeit entwickelte.

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