"Eine Hörbehinderung erschwert den Alltag immens"

1.6.2020, 20:12 Uhr

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NZ: Frau Bernd, mit welchen Herausforderungen sind Gehörlose konfrontiert?

Bettina Bernd: Eine Hörbehinderung ist eine Behinderung der Kommunikation, die den Alltag mit gut Hörenden erschwert oder unmöglich macht. Ein aktuelles Problem ist die Maskenpflicht. Sowohl gehörlose als auch schwerhörige Menschen sind in der Kommunikation auf das Mundbild angewiesen. Ist das verdeckt, werden Menschen mit Hörbehinderung noch weiter ausgeschlossen.

NZ: In Zeiten von Corona sind bei Pressekonferenzen immer Gebärdendolmetscher dabei . . .

Bernd: Stimmt, das ist richtig und wichtig. Aber bei anderen Sendungen, die zum Beispiel Hintergrundinformationen bieten, fehlt es oft an einem Dolmetscher oder an Untertitelung. Die Folge ist, dass Gehörlose Informationen mit zeitlicher Verzögerung erreichen.

NZ: Wodurch fühlen sich Gehörlose noch diskriminiert?

Bernd: Etwa durch die Bezeichnung "taubstumm", weil sie impliziert, dass dieser Mensch nicht kommunizieren kann. Das stimmt aber nicht. Gehörlose sind nicht stumm, sie kommunizieren in Gebärdensprache, eine vollwertige, anerkannte Sprache, in der alles ausgedrückt werden kann. Deshalb spricht man von gehörlosen oder tauben Menschen. Mit "taubstumm" wird häufig auch "dumm" oder "ungebildet" assoziiert. In unserer Arbeit erleben wir immer wieder Erstaunen seitens der Hörenden, wenn wir erklären, dass sich die Hörbehinderung auch auf das Verständnis der Schriftsprache auswirkt.

NZ: Inwiefern?

Bernd: Die Schriftsprache beruht auf der gesprochenen Sprache. Wird die Lautsprache nur rudimentär verstanden, ist auch die Fähigkeit eingeschränkt, Schriftsprache zu verstehen. Ein Rückschluss auf die kognitiven Fähigkeiten ist aber nicht möglich, denn Gehörlose wachsen meist mit Gebärdensprache als Muttersprache auf. Es ist eine visuelle Sprache, die einer völlig anderen Grammatik und Syntax folgt. Die Schriftsprache muss daher zusätzlich wie eine Fremdsprache erlernt werden.

NZ: Welche Dienste bietet Ihre Einrichtung konkret an?

Bernd: Wir unterstützen Menschen mit Hörbehinderung in ihrem Alltag, das heißt, wir erhalten und fördern die Autonomie, Selbstverantwortung und Inklusion gehörloser Menschen. Das erreichen wir, indem wir unsere Klienten dort aufsuchen und unterstützen, wo sie leben, arbeiten und wohnen. Wir bieten Sozialberatung, Frühförderung hörender Kinder gehörloser Eltern, Sozialpädagogische Familienhilfe und Erziehungsbeistand, ambulant betreutes Wohnen für Menschen mit Hörschädigung
sowie für psychisch kranke Hörgeschädigte und einen Offenen Treff in Kooperation mit der katholischen Hörgeschädigtenseelsorge Nürnberg. Zudem sind wir sehr gut vernetzt mit anderen Einrichtungen für Hörgeschädigte sowie mit Fachberatungsstellen für hörende Menschen. So können wir kompetente Unterstützung anbieten, die sich am individuellen Einzelfall orientiert.

NZ: Wer kann Ihre Leistungen wahrnehmen?

Bernd: Gehörlose, Schwerhörige und Menschen mit Cochlea Implantat aus ganz Mittelfranken. Wir sind spezialisiert auf die Beratung von Menschen, die in Gebärdensprache kommunizieren. Sie können aufgrund der sprachlichen Barriere nicht auf die vielfältigen Beratungsstellen für normal hörende Menschen zurückgreifen und benötigen daher Einrichtungen wie zum Beispiel uns.

NZ: Wie kommunizieren Sie persönlich mit den Gehörlosen? Können Sie Gebärdensprache?

Bernd: Alle Mitarbeiterinnen unseres Dienstes wie auch ich können Gebärdensprache. Wir verfügen über langjährige Erfahrung in der Arbeit mit hörgeschädigten Menschen und sind mit deren Sozialisation und
Kultur vertraut. Zusätzlich haben wir eine mobile FM-Anlage. Sie überträgt das Gesprochene ohne störende Nebengeräusche unmittelbar in ein Hörgerät oder Cochlea Implantat.

Sozialdienst für Gehörlose Mittelfranken (SDGL):
Tel:  09 11/6 32 62-0, E-Mail:
bettina.bernd@bezirk-mittelfranken.de
www.sdgl.de

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