Erinnerung an die Nobeladresse

18.8.2010, 00:00 Uhr
Erinnerung an die Nobeladresse

© Stadtarchiv Nürnberg

Es ist ein typischer Fall von Ignoranz der eigenen Schätze. Der überwiegende Teil der Nürnberger könnte wohl schwören, diese Fassade noch nie im Leben gesehen zu haben, obwohl man x-mal daran vorbeigelaufen ist. Mitten in der Innenstadt, an der Ecke König-/Kaiserstraße, ist an der Südseite eines Geschäftshauses ein Häuserpanorama eingehauen.

Das Motiv erinnert daran, was hier vor dem 2. Januar 1945 jahrhundertelang stand: ein imposantes Kaufmannshaus, benannt nach Bartholomäus Viatis (1538-1624). Im Wiederaufbau entstand an der Ecke kurz vor der Museumsbrücke eine unaufregende Geschäftszeile. Die Eigentümer der Königstraße 2 (früher lange Heimat von Spielwaren-Obletter, heute unter anderem von Thomas-Sabo-Schmuck) investierten jedoch großzügig in die äußere Erscheinung. Sie verkleideten die oberen Etagen mit einem teuren Naturstein, dem Nagelfluh. So heißt die rötlich-graue Gesteinsmasse aus dem Alpenvorland, in der Kiesel mit Kalk fest verbacken sind. Nagelfluh ist hart und grobkörnig und ähnelt Waschbeton.

Erinnerung an die Nobeladresse

© Hagen Gerullis

Der hier verwendete stammt aus dem Steinbruch Brannenburg. "Dieser schöne Naturstein ist etwas Besonderes", urteilt der Geologe Otto Heimbucher, "und es ist eine fantastische Arbeit." Der Steinmetz schlug damals über die Häuserkulisse die Schrift "Viatishaus - seit 1569 - neu errichtet 1965". Zufällig enthalten beide Jahreszahlen dieselben Ziffern. Was an dieser Adresse beim schwersten Luftangriff der Stadt unwiederbringlich niederbrannte, war eines der prominentesten und wuchtigsten Nürnberger Renaissance-Häuser.

Belegt ist das Haus bereits im 14. Jahrhundert im Besitz der Familie Weigel, danach der Hirschvogel und Beheim. Im August 1569 kaufte Bartholomäus Viatis - ein Venezianer, der in Nürnberg eine beispiellose Handelskarriere machte und im Geld schwamm - das Anwesen im Jahr seiner Heirat. Viatis ließ es erweitern und überbordend dekorieren - mit Türmchen, Holzgalerien zur Pegnitz hin sowie Freskomalereien mit altrömischen und -griechischen Motiven. Schon von außen kündigte sich dem Passanten so großer Wohlstand auf vier Etagen an. Drinnen lebte ein kinderreicher Haushalt: Viatis´ Braut, die Witwe Anne Scheffer, brachte acht Kinder mit in die Ehe. Es folgten weitere Nachkommen, darunter die Lieblingstochter Maria, die in die Patrizierfamilie Peller einheiratete. Wenigstens liegen heute die teuersten Boutiquen der Stadt nur wenige Schritte entfernt - Hausherr Viatis wäre in seinem Element.