Es fehlt an Betreuungsangeboten für junge Pflegebedürftige

23.2.2012, 08:36 Uhr
Es fehlt an Betreuungsangeboten für junge Pflegebedürftige

© Roland Fengler

Der Moment mag nur von der Dauer eines Wimpernschlags sein, doch er kann ein ganzes Leben verändern. Ein Unfall mit dem Auto, mit dem Motorrad, ein Sturz vom Rad. Die Medizin ist dank modernster Technik sehr oft in der Lage, Verunglückte an der Schwelle des Todes ins Leben hinüberzuretten. Aber nicht immer bleiben sie der Mensch, der sie einmal waren. So wie Samuel Koch, der 2010 bei „Wetten, dass..?“ so schwer stürzte, dass er seitdem gelähmt ist. 23 Jahre alt war er, als der Unfall in der Sendung passierte.

„In der Regel opfern sich die Eltern für ihre Kinder auf, wenn ihnen etwas zugestoßen ist. Sie tun alles, um sie bei sich zu Hause behalten zu können“, sagt Sylvia Fischer, die Pflegedienstleiterin im Haus Hephata. „Die große Mehrheit der Menschen, die jünger als 50 Jahre alt sind und Pflege brauchen, werden zu Hause betreut. Aber es gibt eben auch jene, die niemanden haben, der sich um sie kümmert. Oder niemanden, der sich kümmern kann.“

Junge Menschen, die zum Pflegefall geworden sind und im Altenheim unter Senioren leben, bezeichnet die Fachsprache als „fehlplatziert“. Weil sie andere Bedürfnisse haben. Sie leiden unter Multipler Sklerose, an HIV, an den Folgen von jahrelangem Drogenkonsum, haben einen Schlaganfall erlitten, eine chronische Erkrankung, eine Hirnblutung – oder sie haben einen schweren Unfall überlebt. „Im klassischen Heim sind diese Menschen nicht angemessen untergebracht“, sagt die CSU-Stadträtin Professor Cornelia Lipfert. Die Medizinerin, die im Nüst-Ausschuss vertreten ist, sieht den Bedarf an neuen Unterbringungsformen steigen. „Es gibt eine Reihe von jüngeren Pflegebedürftigen, die derzeit noch alleine klarkommen. Aber deren Situation kann sich in fünf oder zehn Jahren auch ändern.“ Zahlen, die die Entwicklung konkret belegen, sind schwer zu finden. Rund 30000 Menschen, die jünger als 60 sind, werden jedes Jahr zum Pflegefall, besagt eine Statistik.

Dass der Bedarf an neuen Wohnformen für jüngere Pflegebedürftige sehr groß ist, bestätigt auch Walburga Dietel, die Leiterin des Nürnberger Pflegestützpunkts. „Auf das Problem weisen wir schon seit langer Zeit hin“, sagt sie. „Die jungen Leute passen nicht in ein klassisches Heim. Sie sind oft völlig klar im Kopf. Sie brauchen andere Dinge als Senioren, andere Musik, andere Angebote.“

In der Wohngruppe im Haus Hephata, die für Menschen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren konzipiert ist, stehen 15 Plätze zur Verfügung. Und die sind sehr begehrt. Als die Einrichtung der Stadtmission im Juli 2007 eröffnete, war die Gruppe „rasend schnell belegt“, sagt Heimleiter Andrew Scheffel. „Innerhalb eines halben Jahres war sie voll. Und sie ist immer voll.“ Regelmäßig gibt es Anfragen. Kommen Besucher, um sich das Konzept anzusehen. Und sind begeistert. Manchmal ziehen die Interessenten erst einmal in die Nachbargruppe ein, um dort zu warten, bis ein Platz bei den Jüngeren frei wird. Doch das kann dauern. „Die Leute sind in der Regel geistig fit“, sagt Scheffel. „Wir könnten leicht eine zweite Wohneinheit für diese Altersgruppe eröffnen“, fügt er hinzu. In der Planung sei das momentan aber nicht. Derzeit ist der älteste Bewohner der Gruppe 61Jahre alt, der jüngste ist knapp über 40.

„Zunächst war unser Plan ein ganz anderer“, sagt Scheffel. „Wir wollten uns mit unserem Angebot an schwer Pflegebedürftige richten. An Menschen zum Beispiel, die beatmet werden müssen.“ Doch die Anfragen waren anderer Art. Die Bewohner, die in der Gruppe der Jüngeren untergebracht sind, können am normalen Leben durchaus teilnehmen. „Wir mussten unser Konzept anpassen. Wir überlegten, was brauchen die Menschen, was wollen sie?“ Zum Beispiel moderne Medien nutzen. Deshalb gibt es in jedem Zimmer einen Internetanschluss. Es werden Ausflüge speziell für die Jüngeren organisiert – ins Kino, zum Einkaufen oder zum Flughafen, weil es dort eine barrierefreie Gaststätte mit Ausblick gibt. Oft gesellen sich die Senioren dazu, gerade an den Spieleabenden. Da gibt es keine Altersbarrieren. „In der Wohngruppe sind sie unter sich“, sagt Sylvia Fischer. „Und die Angebote können alle zusammen nutzen.“

Auch für das Personal eine große Herausforderung

Die jüngere Gruppe ist auch für das Personal eine Herausforderung. Diese Schützlinge sind vielleicht sogar im gleichen Alter wie die Pfleger selbst. Oder jünger. Und diese Menschen haben ihre ganz speziellen Bedürfnisse. „Bei ihnen steht die Therapie im Vordergrund“, sagt Sylvia Fischer. „Es geht darum, ihre Alltagskompetenzen zu erhalten und verbessern.“ Dazu werden die Bewohner in die Stationsarbeit mit einbezogen, zum Tischdecken oder Aufräumen eingeteilt. Damit sich nicht Lethargie breitmacht. Es sei nicht immer einfach, die Leute zu aktivieren. Machen seien geistig fit, aber eben körperlich sehr eingeschränkt „Mit dieser Lebenssituation kommt nicht jeder klar.“

Klaus Duchène sitzt an seinem Schreibtisch und spielt am Computer Schach. Er war einer der ersten Bewohner, die im Jahr 2007 hier eingezogen sind. 57 Jahre war er damals alt, ein Schlaganfall hatte den Diplomingenieur aus seinem alten Leben katapultiert. Als er ins Haus Hephata kam, hatte er schon eine Odysee durch verschiedene Pflegeheime hinter sich. Hier aber fühlt er sich wohl, in seinem kleinen, hellen Einzelzimmer, mit Stofftieren auf dem Bett und Fotos an der Wand – Momentaufnahmen aus einer anderen Zeit.

www.senioren-stadtmission.de
 

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