Felice Balletta: Die Kunst des Übersetzens

17.9.2009, 00:00 Uhr
Felice Balletta: Die Kunst  des Übersetzens

Felice Balletta: Ausgangspunkt war die Frankfurter Buchmesse 2007 mit Katalonien als Gastland. In diesem Zusammenhang fragte ein guter Freund – Sven Limbeck, mit dem ich den Roman dann letztlich übersetzt habe – bei mir an, ob ich nicht einen Roman empfehlen könnte, der thematisch ins Profil des Elfenbein Verlags passen würde. Dazu muss man wissen, dass ein Schwerpunkt von Elfenbein auf Autoren und Werken der Klassischen Moderne liegt, die es wiederzuentdecken gilt. So gesehen, war die Wahl nicht so ungewöhnlich, eigentlich sogar ziemlich naheliegend. Überraschend ist vielmehr, dass kein anderer vor uns auf die Idee gekommen ist, diesen wunderbaren Roman zu übersetzen!



NZ: Darf man fragen, wie lange Sie für den Roman gebraucht haben? Sie haben ja nur in Ihrer Freizeit, abends und an den Wochenenden, daran arbeiten können...

Balletta: Naja, und vor allem in den Urlauben, die keine waren... Insgesamt schätzungsweise zwei Jahre, Unterbrechungen mit eingerechnet.



NZ: Die verklebten und «gereizten Augen nach ausgedehnter Lektüre«, die Sagarra gleich in seinem boshaften Einstieg beschreibt, kennen Sie also sicher persönlich!

Balletta: Ja, leider nur zu gut! Inwieweit sie Sagarra geschuldet sind, bleibt dahingestellt. Die eine oder andere Übersetzungsstelle hat allerdings schon zu Rötungen der Augen geführt. Wenigstens blieb uns Don Quijotes Schicksal erspart, dem vom vielen Lesen und wenigen Schlafen das Gehirn zu vertrocknen drohte...



NZ: «Privatsachen", 1932 geschrieben, ist einer der wichtigsten Romane der katalanischen Literatur. Könnte man ihn, als üppiges Familienporträt eines Untergangs, die «Buddenbrooks« von Barcelona nennen?

Balletta: Auch wenn ich schon die Aufschreie höre: Ich würde noch einen Schritt weitergehen und behaupten, «Vida privada« zählt zu den wichtigsten europäischen Romanen des zwanzigsten Jahrhunderts. Zweifellos aber zu den zwei, drei wichtigsten in katalanischer Sprache. Was den Vergleich mit Thomas Mann anbelangt, bin ich skeptisch. Eher würde ich Sagarra in der späten Nachfolge von Balzac oder Dumas sehen, zumindest was die Vielschichtigkeit der Gesellschaftsbeschreibung betrifft. Sein wortgewaltiger Sarkasmus erinnert – wenn es jemand aus dem Hause Mann sein soll – eher an Heinrich. Andererseits hätte Thomas Manns akribisches Ringen um stilistische Ausgereiftheit auch «Privatsachen« an der einen oder anderen Stelle gut getan!



NZ: Sagarra, der ja auch Lyriker war, findet immerhin Bilder und Vergleiche von umwerfendem, teils drastischem Spott: Das macht das Buch oft sehr amüsant. Ein Sofa hat die «Zerbrechlichkeit einer Nymphe«, eine ältere Kokotte dagegen «das Gemüt eines Fleischers«...

Balletta: Stimmt (lacht). Sagarra war eben vor allem Lyriker, was man dem Roman auch anmerkt. Der große Reiz, der bis heute von «Privatsachen« ausgeht, liegt in seiner einzigartigen Sprache begründet. Für jeden Übersetzer Alptraum und Herausforderung zugleich!



NZ: Wie sind Sie mit den Eigenheiten des Katalanischen umgegangen? Lässt sich das überhaupt im Deutschen wiedergeben?

Balletta: Offengestanden weiß ich bis heute nicht, wie wir es geschafft haben, dieses Buch zu Ende zu übersetzen. Dafür, dass man es meines Erachtens gar nicht übersetzen kann, haben wir es aber ganz gut hingekriegt (lacht)... Ernsthaft, es bedurfte einer großen Portion Idealismus – beziehungsweise Naivität – dieses Wagnis einzugehen. Erst im Nachhinein wurde uns so richtig klar, warum sich bis dato keiner daran gewagt hatte. Die konkreten Schwierigkeiten ergaben sich aus Sagarras ganz eigener, stark assoziativer Bildhaftigkeit, zum anderen aus den grundsätzlichen Unterschieden im Satzbau zwischen dem Deutschen und den romanischen Sprachen. Sprich: es macht einen großen Unterschied, ob ich in der ersten Zeile einen Hauptsatz mit einem Verb habe, dem achtzehn, lediglich durch Strichpunkte getrennte Nebensätze folgen, oder umgekehrt...



NZ: Der Roman ist auch ein großes Barcelona-Buch. Sie haben selbst in der Stadt studiert. Haben Sie sie trotz der historischen Distanz wiedererkannt?

Balletta: Manchmal mehr, manchmal weniger. Eigentlich aber schon, besonders dank der bis ins Detail beschriebenen Topographie, der Straßen, öffentlichen Gebäude oder Lokale, die es ja heute zum Teil noch gibt. Vieles ist aber natürlich auch verloren gegangen – oder hat sich so stark verändert, dass man es nur noch schwer erkennt.



NZ: Die Frankfurter Buchmesse hilft sicher, ein literarisches Bewusstsein für bei uns kaum bekannte Regionen und ihre Autoren zu schaffen. Dennoch ist viel Optimismus nötig, sich immer wieder für sie einzusetzen... und auf den aufgeschlossenen Leser zu hoffen!

Balletta: Ich bin aus mehreren Gründen sehr froh, dass sich die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse seinerzeit für Katalonien als Schwerpunkt ausgesprochen haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass nichts so sehr die menschliche Identität prägt wie die Sprache. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich beim Katalanischen keineswegs um irgendeinen Dialekt der Iberischen Halbinsel handelt, sondern um eine der ältesten Kultur- und Literatursprachen Europas, im Übrigen auch älter als das Italienische. Eine Sprache, die zudem deutlich mehr Sprecher hat als das Finnische, Dänische, Slowakische und so weiter. Insofern ist es nur konsequent, auch dieser Tradition Rechnung zu tragen. Und was die Leser anbelangt: ich vertrete Jorge Luis Borges’ Auffassung, dass sich die Bücher ihre Leser aussuchen, nicht umgekehrt (lacht).



NZ: «Privatsachen« war ja einmal ein Schlüssel- und Skandalroman. Der Autor, selbst ein Dandy von aristokratischer Herkunft, hat aus dem Nähkästchen geplaudert und entsprechend Entrüstung ausgelöst. Mal ehrlich: Funktioniert Literatur nicht auch als Indiskretion und Klatsch?

Balletta: Nicht immer, aber oft. Voyeurismus, Exhibitionismus und Schadenfreude sind zweifelsohne elementare, und sicher nicht die langweiligsten Zutaten guter Romane. Ohne sie müssten wir wahrscheinlich auf einige der schönsten Bücher der Weltliteratur verzichten...

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