Flaschenpost von zwei Engeln

2.6.2008, 00:00 Uhr
Flaschenpost von zwei Engeln

© Niklas

Dass es eine ganz enge Sache werden würde, war klar. «Flaniermeile», eine der erstmals von der Stadt vorgeschlagenen Touren durch die Blaue Nacht, sollte es sein. Zehn Stationen mit x Unterpunkten zum diesjährigen «Insel»-Motto – würde das machbar sein? Um kurz nach 19 Uhr starte ich, der Kultur auf den Fersen.

Ich finde sie bei «Bayern Design» in der Luitpoldstraße. Studenten der Münchner Medien-Fachhochschule beeindrucken hier mit Beiträgen aus Bereichen wie Grafik-Design, Regie, Fotografie oder Kommunikationsdesign. Ob Titelvorspann für einen Film, Animation oder Untersuchungen zum Management: Je mehr Studiengangsleiter Eckhard Rocholl berichtet, desto interessanter – oh nein! So spät?

Ich haste zum K 4, hoch in den Glasbau, und treffe auf pure Entspannung: «Tahiti, eines der teuersten Urlaubsparadiese! Wir lassen uns schon mal inspirieren.» Regina P. (47) und Freundin lassen im Strandstuhl liegend eine TV-Reise-Reportage auf sich wirken, eine Palme über ihnen, um sie herum blaues Folienmeer. «Ich möchte die Blaue Nacht nicht mehr missen!» Ein Stockwerk tiefer betrachtet OB Ulrich Maly mit Frau Petra eingehend die Fotoausstellung zum Milchhof. «Wir lassen uns heute treiben», erklären beide, bloß kein Programmdruck. Einige Räume weiter plätschern türkisfarbene Wellen und locken zum Verweilen beim live moderierten Erfahrungsbericht einer Insel-Reise. Kühl ist’s und ruhig – doch das Tour-Programm drängt mich weiter in den Weißen Saal zur Kunstaktion «Chinese Ox». Wie alle anderen starre ich auf den Boden: Künstler Guan Yuliang aus Shenzhen steht mitten auf seinem schwarz-weißen Werk. Er setzt hier einen Strich und dort – scharf fährt der

Farbgeruch in die Nase. So nah an der Kunst! Wir genießen still.

Auf der Straße: Kutschen, wohin ich sehe. Voll besetzt. Und brave Pferdchen. «Sollen wir was Essbares organisieren?», meint ein junger Mann zu seiner Freundin. Sie: «Ach komm, wir zischen jetzt in die Sonderausstellung ins Germanische!» Das tue ich auch. Ups, genaue Kartenkontrolle und Tasche abgeben. Endlich umgeben mich blaues Licht und Sphärenmusik im Aufseß-Saal, acht Glasvitrinen zeigen eine eigenartige Auswahl von Muscheln über ein Schneckenhorn aus Tibet, Baby-Dolls um 1960 bis zu Lesestoff aus der Insel-Bücherei (aha, Thema!). Nebenan fesseln die «Meisterwerke» weitaus mehr Besucher: «Schön, dieses Flair aus Öffentlichkeit und Zurückgezogenheit. Die Blaue Nacht ist Pflicht, auch wenn man aus Fürth ist», meint Dieter W. (74).

Im Foyer wippen und klatschen die Besucher im Takt zu Sommer-Insel-Musik, mitreißend! Doch als Rundgang-Test-Person habe ich Pflichten. Der Kornmarkt ist dicht. Pirat, Schloss Neuschwanstein und Nixe sind als Sandskulpturen von Gittern geschützt und dicht umlagert. Im Gewühle relaxen Besucher in Liegestühlen über Wasserpfützen und schlecken blaues Eis. Gemütlichkeit ist Geschmackssache. Auf Schleichwegen erreiche ich das Naturhistorische Museum, die tanzenden «Südseeperlen» aus Hamburg habe ich verpasst. Und die Weinprobe historischer Rebsorten? Läuft gerade. Doch durch die Fenster sieht man sie . . .

24 Teilnehmer sitzen im Lesesaal andächtig vor Gläsern und Karaffen, ein mittelalterlich Gewandeter doziert. «Die hogg’n da etz fei’ scho’ lang», wundert sich ein Mädchen aus einer Gruppe. Die Mädels warten nicht länger, und mich fasziniert bereits ein anderer Frucht-Saft: Elke H. (48) lässt geduldig Kokosnussmilch in einen Eimer tropfen. «Und wie krieg’ ich die Nuss jetzt ohne Werkzeug auf?» Sie folgt Beatrix Mettler, Mitarbeiterin der Naturhistorischen Gesellschaft, nach draußen zu einem Steinquader. Wo ist die Schwachstelle der Nuss? Aha. Jetzt rundum an die Kante schlagen, nur Mut! 21.45 Uhr, knack – zwei herrliche Hälften, schon die letzten für diese Nacht, die hartschaligen Früchtchen hatten mehr Fans als erwartet.

Das hatte wohl auch die Flaschenpost. Eine herrlich ruhig-romantische Stimmung umfängt mich am U-Bahnhof Wöhrder Wiese. Eifrig schreiben Kleine wie Große Botschaften. Wassersicher, mit einer blauen LED-Leuchte am Korken, rutschen diese in die Pegnitz auf ihre wellige Reise. «Ich wollte schon immer eine Flaschenpost finden, jetzt schicke ich eine.» Conny lächelt glücklich. «Ich möchte dazu beitragen, dass die Pegnitz noch blauer wird», sagt Alex. Romantisch, als die Inselpost wie Hunderte Leuchtfische davontreibt. Still, melancholisch blicken ihr die Menschen nach.

Auf der Höhe des Cinecittá steht Sanela (33), sieht verzückt auf die Flasche in ihrer Hand und strahlt. «Ich wünsche mir, dass ich zaubern könnte. Allen, die das lesen, Gesundheit, Glück und Freude. Zwei Engel», liest sie die Botschaft vor. «So ein herrliches Geschenk!»

Noch immer ist es warm und in der Altstadt kaum ein Durchkommen, doch die Stimmung ist auffallend entspannter als 2007. Dicht geschlossen sind die Reihen rund um den Kettensteg, wo die Massen wie verzaubert dem feinsinnigen Tanzspektakel «strange – balance» über der Pegnitz folgen. Wenig später trete ich auf dem Henkersteg meinen letzten Gang an. Das stelle ich mir bis zur einsetzenden Panik zumindest vor. Riesige Spinnen krabbeln unter dem Gebälk, der Grusel erreicht in der Stube des berühmtesten Nürnberger Henkers Franz Schmidt seinen Höhepunkt. Sensationslust, Information und Schockierendes reichen sich hier die Hand.

«Schön abhängen» beim Tagebuch des Henkers? Gäste werden hier reizend empfangen (siehe kleines Foto links) und blutleer ist’s keinesfalls! Und keinesfalls, das wird mir klar, ist dieser «Flanier»-Rundgang entspannt zu schaffen. Dürer-Haus und Theater muss ich streichen und beende die Tour auf der Burg. Bei «Hirn in Blau» ist auf dem Schachbrett scharfes Denken gefragt, während im Rittersaal alte Schlager das Publikum auf Nostalgie-Inseln treiben. Die Lichtsymphonie auf der Vestnertorbastei von Kurt Laurenz Theinert und Jogi Nestel verkörperte mit ihren auf- und abglimmenden weißen Kugel-Monden in den Bäumen die Stimmung dieser Blauen Nacht 2008. Wie ein Kurzurlaub auf einer Traum-Insel.

Verwandte Themen


Keine Kommentare