Im Schatten von Fukushima

1.8.2011, 19:08 Uhr
Im Schatten von Fukushima

© Roland Fengler

Für einen kurzen Moment muss Toshikazu Koide um Fassung ringen, einen Wimpernschlag lang scheint es, als breche ihm die Stimme. So unfassbar ist das, was in seinem Land am 11.März geschah. „Es war 14.46 Uhr, als sich unser Leben völlig änderte“, sagt der Begleiter der Jugendgruppe. „Ich habe in meinen 53 Lebensjahren noch nie ein so starkes Beben erlebt.“ Ein Freund Koides stirbt im Katastrophengebiet, so wie über 20000 weitere. Japan wird Jahrzehnte brauchen, um sich von den Folgen der Atomkatastrophe in Fukushima zu erholen. Erst gestern meldeten Nachrichtenagenturen, dass am havarierten Atomkraftwerk die höchsten Strahlenwerte seit dem Beben gemessen wurden.

Ein wenig Ablenkung von der Tragödie in ihrem Land sollen die zehn japanischen Jugendlichen aus Shinmachi und ihre zwei Betreuer in Nürnberg erleben. Vor zwei Tagen kamen sie an, bis zum 12. August leben sie in Gastfamilien. Im Drei-Jahres-Rhythmus kommen je zwei Gruppen in die Stadt, die Teilnehmer müssen etwa 1000 Euro für den Flug ansparen, den Rest zahlen die Gastfamilien. Das gleiche gilt für die deutschen Jugendlichen, die nach Japan reisen. Organisiert wird der Austausch von der Bayerischen Sportjugend, Kreis Nürnberg. „Es ist eine Kultur- und Geschichtsreise. Das Verbindende ist der Sport“, sagt Organisator Michael Voss. In diesem Jahr ist nur eine Gruppe aus Japan da, die andere stammt aus dem Katastrophengebiet, eine Reise nach Deutschland wäre dort unter diesen Umständen als unschicklich empfunden worden, so Voss.

Die Japaner erleben in Nürnberg einen Kulturschock. Am meisten sei sie davon überrascht gewesen, dass die Deutschen ihre Gefühle so stark zeigen, sagt Risa Omedan, 18. Vor allem die Umarmungen irritieren sie. Beim Essen ist sie japanisch höflich, probiert alles: „Aber Klöße mag ich überhaupt nicht“, sagt sie kichernd.

Die Deutsche Stephanie Erler war 2010 über das Austauschprogramm in Japan und will unbedingt noch einmal dorthin zurück. Bis heute pflegt sie den Kontakt zu ihrer Gastfamilie.

Begleiter Toshikazu Koide ist zum siebten Mal in Nürnberg: „Ich habe das Gefühl, dass ich in meine alte Heimat zurückgekehrt bin.“ Bevor Koide sich vom Rednerpult entfernt, nimmt er den Arm einer der japanischen Jugendlichen. Er zeigt auf den Ärmel ihres blauen T-Shirts, ein Vogel ist darauf gestickt. „Das ist ein Phönix“, sagt Koide. „Für uns Japaner ist er ein Symbol des ewigen Lebens. Wir geben nicht auf, trotz der Katastrophe.“

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