In Erlangen geht die Angst um

1.7.2008, 00:00 Uhr
In Erlangen geht die Angst um

© Schreiter

Auch am Obst- und Gemüsestand von Markthändler Bernhard Engelhardt sorgt Siemens für Gesprächsstoff. 20 bis 30 Prozent seiner Kunden sind bei dem Unternehmen angestellt, mit etlichen hat er sich die vergangenen Tage unterhalten. «Viele können die Firmen-Entscheidungen nicht verstehen», erzählt er «die meisten wünschen sich Heinrich von Pierer zurück.»

Das sagen die Mitarbeiter zwar öffentlich nicht laut. Aber viele, die an diesem Montagmittag zwischen Parkplätzen, Arbeitsstätten und Kantinen am Standort Mitte hin und herlaufen, geben vor allem Peter Löscher die Schuld. «Ich hatte mir von dem neuen Chef nicht mehr erhofft», sagt ein Ingenieur, der seit fast 20 Jahren im Engineering tätig ist. Über die Art und Weise der Bekanntgabe ist er besonders entsetzt. «Schon vor Monaten wurde der Stellenabbau angekündigt und seitdem sind die Leute verunsichert.» Sogar jetzt würde die Firmenspitze immer noch nicht deutlich sagen, wer von den Entlassungen betroffen ist. Zwar habe Löscher nun Kommunikationsfehler eingeräumt, mache aber dennoch nicht viel anders. Die Firmenspitze würde viel zu wenige Defizite eingestehen. Im Gegenteil: Selbst die Konsequenzen aus den Bestechungs- und Korruptionsaffären müssten die kleinen Mitarbeiter austragen, meint der 49-Jährige. «Die werden jetzt ständig gefragt: Macht ihr alles richtig?»

Darüber ärgert sich auch ein Kollege der Verkehrstechnik, heute Mobility, der Zweig, für den Löscher bereits vor Wochen weit gehende Restrukturierungsmaßnahmen angekündigt hatte. «Die Chefs veruntreuen Milliarden und wir müssen uns jetzt überlegen, ob wir einem Kunden noch eine Tasse Kaffee anbieten können. Da wird doch das Kind mit dem Bade ausgeschüttet», kritisiert der Erlanger, der im Bereich Technik arbeitet. Seiner Meinung nach ist die momentane Misere auf eine zunehmende Bürokratisierung und Anonymisierung zurückzuführen. «Jede Abteilung hat heute ihren eigenen Urlaubszettel», erzählt er. Allein solche Kleinigkeiten erschwerten und verteuerten den Arbeitsablauf enorm. «Das aber», meint er, «gibt niemand zu. Denn in diese Umstrukturierungen wurde viel Geld gesteckt.» Er nennt diesen Zustand «das unkontrollierte Chaos», das sich bei Siemens immer mehr breit mache.

Mitarbeiter wie dieser zeigen deutlich, wie es um das einstige Vorzeigeunternehmen steht. Eigentlich will er in seiner Mittagspause noch eine kleine Runde um das Siemens-Hochhaus drehen, ein wenig Sonne tanken. Angesprochen auf die Stimmungslage im Betrieb vergisst er jedoch Zeit und Raum. Der Frust über die Firmenleitung ist offensichtlich so groß, dass er das Herz auf der Zunge trägt.

Von inkompetenten Führungskräften ist die Rede, die permanent von einer Abteilung zur nächsten wechseln, sich in der jeweiligen Sparte nicht auskennen und keinerlei Bindung zu den Mitarbeitern besitzen. «Früher mussten die Chefs lenken, jetzt haben sie ihre Consultants, die ihnen sagen, was sie machen sollen». Wenn die gewünschten Erfolge dann ausblieben, würde der Bereich sofort abgestoßen. Von der ursprünglichen Siemens-Familie sei also nicht mehr viel übrig. Als er vor über 30 Jahren bei dem Betrieb begonnen hatte, sei das noch anders gewesen. Er habe Chefs gehabt, die über Projekte Bescheid wussten und sich für ihre Mitarbeiter interessierten. Die Verschlechterungstendenzen seien schon lange zu erkennen. «Die jetzt angekündigten Entlassungen sind da nur noch das Tüpfelchen auf dem i». Die Siemensianer, sagt er, fühlten sich entweder ohnmächtig oder würden alles - wie von oben gewünscht - einfach super und toll finden.

Viele reagieren tatsächlich mit einer eigentümlichen Mischung aus Trotz, Verdrängung und Verzweiflung auf die Hiobsbotschaften. Äußerlich bewahrt man sich die Normalität. Das Männleinlaufen setzt auch an diesem Tag pünktlich um zwölf Uhr ein. In kleinen Grüppchen steuern sie die Kantine oder Restaurants an, die Karte mit dem grünen Firmenlogo sichtbar am Hals oder an der Hose.

Zwei Ingenieure werfen sich auf die Frage, was sie von Löschers Plänen halten, vielsagende Blicke zu. «Wir haben momentan keine Angst», sagen sie übereinstimmend, aber nicht sonderlich überzeugend. «Bislang schlägt es noch woanders ein». Allerdings scheinen auch sie dem obersten Firmenchef nicht alles abzunehmen. Dass Löscher betriebsbedingte Kündigungen nun doch nicht ausschließt, überrascht den Anfang 40-Jährigen nicht. «Als er gesagt hat, dass es dazu nicht kommen wird, habe ich ihm sowieso nicht geglaubt».

Von einer «Supi-Stimmung» spricht eine weitere Mitarbeiterin. Die Ironie in ihrem Tonfall ist unüberhörbar. «Ungewissheit und Angst lähmen alle», berichtet die fast 40-Jährige. Sie wisse von Paaren, die bewusst in unterschiedlichen Sektoren arbeiten. «Wenn einer seinen Job verliert, hat der Partner wenigstens noch einen.» Besonders genervt habe sie die letzte Rundmail von Peter Löscher. «Da wird noch um Verständnis geworben, obwohl alles schon beschlossen ist.» Die Nachricht kam am Freitag, kurz nach 18 Uhr. «Aber», fragt sie spitz, «wer ist denn da noch im Büro?»

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