Leon, künftiger Fußballprofi und Polizist

14.9.2010, 07:50 Uhr
Leon, künftiger Fußballprofi und Polizist

© Christiane Fritz

Schwer zu sagen, wer aufgeregter ist, die Kinder oder die Eltern. Alle sind gespannt, voller Vorfreude und die Großen auch ein bisschen wehmütig. Eben waren ihre Sprösslinge doch noch klein, Babys waren sie. Und jetzt stehen sie da mit ihren Schultüten und Taschen. Schwer beladen mit Süßigkeiten, mit Erwartungen, Hoffnungen und Träumen. Die Tür zum Klassenzimmer schließt sich hinter den Kindern. Die Eltern müssen draußen bleiben. Eine Stunde wird der Unterricht heute, am ersten Tag, dauern. Auf Leon warten draußen Mama Claudia Pscherer, Papa Jörg, die Großeltern aus Mögeldorf, der Opa aus Hof, Onkel Jan aus Bamberg und Onkel Oliver mit seiner Freundin aus London. Sie müssen die Zeit mit Kaffeetrinken überbrücken. Zeit zum Plaudern und zum Nachdenken.

Am Morgen, im Gottesdienst für die Schulkinder, sind Leons Mama die Tränen gekommen. Der Pfarrer sprach vom Abschiednehmen, vom Loslassen. „Es geht eine Ära zu Ende“, sagt Leons Vater. „Man entlässt sein Kind ein Stück weit in die Welt, in die Selbstständigkeit. In solchen Momenten wird einem besonders bewusst, wie kostbar Familienzeit ist.“

Leon, künftiger Fußballprofi und Polizist

Leon liegt Sentimentalität gerade fern. Ihn beschäftigen andere Dinge. Er freut sich, dass Justin neben ihm sitzt, sein Kindergarten-Freund. Er findet seine Lehrerin Brigitte Beckmann sehr nett. Er ist stolz auf seine FCN-Schultüte, die er mit seiner Mama gebastelt hat und auf seinen Schulranzen mit den Fußballmotiven, den sein Vater für ihn ausgesucht hat. „Papa hat ihn einfach mitgebracht“, erzählt Leon. „Aber er gefällt mir ganz toll.“ Fußball ist ein wichtiges Thema im Leben des Sechsjährigen. Er ist Club-Fan, natürlich. Und er will Fußballer von Beruf werden. Allerdings nur im Sommer. Im Winter will er Polizist sein. Denn dann ist es kalt.

Leon sagt, dass er vor Aufregung nicht schlafen konnte. Seine Eltern können das nicht bestätigen. Aber dass er den Wecker eine halbe Stunde früher als nötig gestellt hat, das haben sie bemerkt. Auf halb sieben. Künftig müssen alle früher aufstehen als sonst. Und ihren Alltag neu organisieren. „Berufstätig sein und ein Schulkind haben, ist schwierig“, sagt Claudia Pscherer, die Ingenieurin von Beruf ist. Einen Hortplatz hat ihr Sohn nicht bekommen. Aber er kann in die Mittagsbetreuung gehen. „Das ist eine große Hilfe.“

Leon besucht die Erich-Kästner-Grundschule in Reichelsdorf und ist damit nicht nur Schulanfänger, sondern auch Teilnehmer eines Modellprojekts namens „Flexible Grundschule“. 20 Standorte hat der Freistaat Bayern für das Projekt ausgesucht, neben Leons Schule wurde in Nürnberg die Volksschule St. Leonhard gewählt. Ziel ist, die Kinder individueller zu fördern, ihr Lerntempo stärker zu berücksichtigen und flexibler auf ihre Bedürfnisse zu reagieren. An Leons Schule werden im Rahmen dieses Konzepts erste und zweite Klassen gemeinsam unterrichtet. Die Eltern konnten sich aussuchen, ob sie das klassische oder das neue Modell für ihr Kind bevorzugen.

Den Pscherers gefällt das Konzept. „Ich finde es sehr spannend“, sagt Jörg Pscherer, der Diplom-Psychologe von Beruf ist und sich im Studium auch mit Pädagogik beschäftigt hat. „Es ist eine gute, sinnvolle Sache.“ Leons Lehrerin Brigitte Beckmann hat bereits Erfahrung mit dem flexiblen Unterricht und findet ihn „sehr, sehr positiv“. Das Lernen, sagt sie, sei viel entspannter.

Die Eltern dürfen jetzt ins Klassenzimmer kommen. Sie drücken ihre Kinder an sich, als hätten sie sie Jahre nicht gesehen. Sie fotografieren und filmen, wollen den Augenblick für die Ewigkeit festhalten. Weil doch auch diese neue Zeit so schnell vorbei ist.

Leon sitzt noch an seinem Platz, seine Wangen sind gerötet. Er hat eine Schultüte aus Papier gebastelt und mit Fußbällen bemalt. Nun mag er gar nicht viel reden. Er hat noch eine Mission zu erledigen. In seinen Kindergarten möchte er gehen, den Kleinen etwas bringen. Zum Abschied. In einer blauen Plastikdose hat er Gummischlangen deponiert, rote, blaue, gelbe, grüne. Leon liebt diese Schlangen. Jetzt verteilt er sie großzügig.

Der Wasen (der Name ist eine Eigenkreation Leons) sitzt in der Schultasche und wird jetzt nach Hause getragen. Gleich wird im Garten gegrillt, danach gibt es Apfelküchle, die die Oma gebacken hat. Und Leon wird endlich, endlich Zeit haben, seine Schultüte auszupacken.