Nicht reden, sondern machen

22.8.2011, 18:14 Uhr
Nicht reden, sondern machen

© Lebenshilfe

Die Lebenshilfe will mit diesem – für bayerische Verhältnisse – revolutionären Vorgang einen Schritt in Richtung Inklusion gehen, also einen Schritt in Richtung Gleichstellung Behinderter und Nichtbehinderter.

Das sei ein totaler Strukturwandel, sagt der Lebenshilfe-Vorstandsvorsitzende Horst Schmidbauer. Viel Überzeugungsarbeit sei in der Mitgliedschaft notwendig gewesen, denn 50 Jahre lang war die Lebenshilfe ein reiner Elternverband. Nun bestimmen die Menschen mit, um die es in der Lebenshilfe geht – die Behinderten. Drei der neun Vorstandsmitglieder haben eine Behinderung. Sie sind voll geschäftsfähig und entscheiden zukünftig mit über Personal, Finanzen und Vereinsziele.

Gerd Fischer ist einer von ihnen. Der 52-Jährige arbeitet seit 14 Jahren im Lager der Lebenshilfe-Werkstätten. In seiner Kandidatur um den Vorstandsposten sieht er ein „kleines Dankeschön“. „Bevor ich zur Lebenshilfe kam, hatte ich keine Arbeit und kein Geld.“ Nach seiner Anstellung änderte sich sein Leben grundlegend.

Das zweite Vorstandsmitglied mit einer Behinderung ist Gela Trapp. Die 27-Jährige lebt bei der Lebenshilfe Ansbach, arbeitet in der Trafofertigung und ist über die Sportgruppe der Nürnberger Lebenshilfe verbunden. Ihr ist es wichtig, mitzugestalten, sagt sie. Deswegen habe sie sich in den Vorstand wählen lassen.

Keine endlosen Vorstands-Debatten mehr

Der 31-jährige Marcus Richter ist der Dritte im Bunde. Auch er hat eine Behinderung und arbeitet derzeit im Zeltnerschloß für das Bayerische Rote Kreuz. Ja, die monatlichen Sitzungen des Vorstandes seien schon eine Herausforderung, sagt er. Nicht alles in der Tagesordnung verstehe er auf Anhieb. In solchen Fällen können sich die Vorstände Rat bei ihren – von der Lebenshilfe unabhängigen – Assistenten holen.

Die neue Struktur hat zudem den Nebeneffekt, dass auch der übrige Vorstand sich nicht in endlosen Debatten verlieren und theoretische Vorlagen in klarerer und einfacher Sprache zu Papier bringen muss.

Die Lebenshilfe Nürnberg ist in Bayern die einzige Behinderten-Einrichtung, die in ihrem Vorstand Behinderte integriert. In Baden-Württemberg und im Norden Deutschlands ist das längst gängige Praxis. Deswegen hatte sich der Nürnberger Vorstand auch in Tübingen beraten lassen, wie er bei der Wahl am besten vorgehen sollte.

Das Resultat war zunächst die Gründung eines 18-köpfigen Vorstandsbeirates, der sich aus Bewohnern der 25 Wohngruppen zusammensetzt. Dieser Vorstandsbeirat wiederum stellte vier Kandidaten auf. Von ihnen wurden von der Mitgliederversammlung (90 der 600 Mitglieder waren anwesend), Trapp, Fischer und Richter gewählt. Sie sollen vor allem als Bindeglied zwischen Behinderten und Vorstand fungieren.

Auf das Trio wartet eine spannende Zeit. Und mit Glück entwickelt sich der neu besetzte Vorstand so gut wie in Tübingen. Dort ist das Führungsgremium so gut aufeinander eingestellt, dass die Behinderten schon nach wenigen Jahren keine Assistenz mehr brauchten.

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