«Nur rauskommen und schön sein reicht nicht!»

10.5.2008, 00:00 Uhr
«Nur rauskommen und schön sein reicht nicht!»

© Gerullis

NZ: Herr Conrady, sie haben eigentlich Hotelkaufmann gelernt.

Conrady: Aber nebenbei habe ich gesungen und getanzt, am Anfang noch als Mann. Morgens bin ich ins Büro, abends stand ich auf der Bühne. Nach einem Jahr war es mir zu viel, ich habe mich schließlich für das Travestie-Cabaret entschieden, aber immer noch als Mann. Eines Tages sagte der Chef eines Cabarets zu mir: Wir haben Männer, die in Frauenkleidern auftreten, das wollen die Leute sehen. Dann bin ich in die Garderobe, habe angefangen, mich zu schminken. Die Kollegen haben mir eine Perücke geliehen und ein Kleid. Ich hatte festgestellt, dass ich im Kostüm viel frecher und witziger sein konnte. Das hätte ich als Mann im Anzug nicht geschafft.

NZ: Wie hat sich Ihre Arbeit in den letzten 30 Jahren verändert?

Conrady: Damals war Travestie in Nürnberg ein Wagnis. Ich erinnere mich an zwei ältere Damen, die am Schaufenster des Cabarets vorbeigelaufen sind. Eine hat zur anderen gesagt: Grausen tät’s mich, wenn ich da nei müsst! Man musste erst mal die Hemmschwelle überwinden. Als ich hier anfing, sagte ein Mann: Allmächt schau hie, des ist a Zipfelpritsch’n! Und ich sagte: Zipfel ist ja noch in Ordnung, aber Pritsch’n ist eine Beleidigung!

NZ: Warum sind Sie gerade in Nürnberg angekommen?

Conrady: Wir sind hier ein bodenständiges Arbeitervolk. Die Menschen haben das Herz auf dem rechten Fleck. Ich finde die Nürnberger sehr lustig, sehr direkt und klar. Wenn die etwas sagen, dann meinen sie das auch so.

NZ: Wie findet das Publikum ins «Paradies»?

Conrady: Man muss sich in diesem Betrieb vollkommen erneuern, man kann nicht 30 Jahre lang auf alte Fans hoffen. Die sterben aus. Ein Drittel ist vielleicht schon tot, ein Drittel liegt auf der Couch, und ein Drittel geht vielleicht woanders hin. Es war schwierig, die jungen Leute zu motivieren, weil die durch Fernsehen und Internet heute alles haben können und nicht mehr so viel weggehen. Aber jetzt bieten wir auch Geburtstagsfeiern an und Junggesellinnenabschiede. Und wenn die Mädels das witzig finden, dann bringen sie auch ihre Kerle mit.

NZ: Warum sind Travestie-Künstler so beliebt?

Conrady: Die Leute haben das immer als etwas Freches angesehen. Wir übertreiben, wir überziehen und überdehnen die Figur. Dazu gehören Federn und Strass und Pailletten. Jede Frau sagt sich bei dem Anblick: Boah, was haben die für tolle Beine. Oder: So möchte ich auch mal geschminkt aussehen. Wie laufen die auf diesen Schuhen, guck mal diese Riesenwimpern! Das ist die Kunst der Verwandlung. Wir wollen keine Frau sein - wir sind Travestie-Künstler! Ich habe die Figur «France Delon» geschaffen. Aber ich bin ich selbst, der Charakter verändert sich ja nicht.

NZ: Wie lange braucht Frank Conrady, um «France Delon» zu werden?

Conrady: Angefangen habe ich mit zwei Stunden, da habe ich filigrane Federzeichnungen gemalt. Heute bin ich in 30 Minuten geschminkt. Dann kommen Schuhe, Fingernägel, Haare - alles zusammen 45 Minuten.

NZ: Gibt es genügend Nachwuchs?

Conrady: Es stagniert. Viele sind Drag Queens, die auf Partys posen. Aber wo ist da das Programm? Wenn ich eine Bühne betrete, könnte ich drei Stunden lang das Publikum unterhalten. Nur rauskommen und schön sein - das reicht nicht! Fragen: Ngoc Nguyen

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