Putin wählt, die Russen folgen

1.3.2008, 00:00 Uhr

Dafür ist gesorgt: Denn auch wenn das Volk erst an diesem Sonntag zu den Urnen marschiert, der einzige wirklich wahlberechtigte Bürger Russlands hat sich längst entschieden: Er kürte Medwedew, den smarten Juristen aus dem heimatlichen Petersburg, zu seinem Nachfolger. Nur ihm will er sein Amt abtreten - allerdings nicht die Macht.

Drei Viertel der Russen finden das gut, 75 Prozent wollen Putins Wahlempfehlung folgen. Vermutlich unterschätzt man diese Menschen, wenn man sie zu blinden Opfern einer perfekt geschmierten Propagandamaschinerie erklärt. Sie vergleichen ganz einfach ihr Leben unter Putin mit ihrem Leben zuvor und kommen zu einem für die gegenwärtigen Verhältnisse ganz schmeichelhaften Ergebnis. Vor allem aber: Von der Zarenzeit bis zur Sowjetdiktatur waren Führungswechsel in Russland immer wieder mit Unruhen, Terror und Not verknüpft. Heute haben die Russen mehr individuelle Freiheiten und wirtschaftliche Chancen als irgendeine Generation vor ihnen - das wollen sie nicht aufs Spiel setzen.

Nun also statt Unsicherheit ein Tandem, das Kontinuität und Berechenbarkeit verspricht: Putin sitzt vorne, ganz gleich unter welcher Amtsbezeichnung, und Medwedew macht hinter ihm ein freundliches Gesicht. Die Bezeichnung Nachfolger wird hier ganz wörtlich genommen. Gewiss, Putin hätte mit seiner Duma-Mehrheit auch die Verfassung ändern können, aber wozu? 2012 darf er ohnehin wieder für die Präsidentschaft kandidieren.

Im Westen wird dieser Tage viel die Nase gerümpft über eine «Putinokratie», die sich mit Mitteln an der Macht hält, die unseren demokratischen Standards Hohn sprechen. Mit Blick auf Russlands Vergangenheit wirken sie freilich geradezu menschenfreundlich. Im Grunde ist man in Berlin, Paris und Washington auch ganz zufrieden, dass alles bleibt, wie es ist. «Wir sollten davon ausgehen, dass Putin mit der Veränderung seiner Zuständigkeit seine Macht nicht verlieren wird», erklärte jüngst Außenminister Steinmeier. Es klang, als könne er damit gut leben. MARTIN SCHABENSTIEL

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