Nach Anschlag: Verdächtige in Nordfrankreich gesichtet

8.1.2015, 13:11 Uhr
Nach Anschlag: Verdächtige in Nordfrankreich gesichtet

© REUTERS/Toru Hanai

Am Mittag hielten die Franzosen landesweit eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer ab.  Die beiden Hauptverdächtigen - der 32-jährige Cherif Kouachi und sein 34-jähriger Bruder Said - seien schwer bewaffnet in einem grauen Clio gesichtet worden, hieß es von Seiten der Ermittler. Der Betreiber einer Tankstelle in der Nähe der Gemeinde Villers-Cotterêt im Département Aisne habe die beiden verdächtigen Männer “eindeutig erkannt“. “Die beiden Männer sind vermummt, mit Kalaschnikow und anscheinend mit Raketen-Werfern“ ausgerüstet, hieß es weiter.

Beim schwersten Terroranschlag in Frankreich seit einem halben Jahrhundert wurde am Mittwoch praktisch die gesamte Führungsmannschaft des Pariser Satiremagazins "Charlie Hebdo" ermordet. Die Staatsanwaltschaft sprach von zwölf Toten, darunter sind auch zwei zum Schutz des Magazins abgestellte Polizisten. Bei ihrer Flucht in einem Auto gaben die Täter weitere Schüsse ab; eine Passantin wurde verletzt. Die Täter sind noch immer flüchtig, wurden offenbar aber nun identifiziert.

Die Polizei sucht demnach unter anderem nach zwei Brüdern aus Paris mit französischer Staatsbürgerschaft. Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtet, dass die beiden Brüder in Frankreich geboren wurden und in französischen Heimen aufgewachsen sind, da ihre algerische Eltern früh verstorben waren. Die Polizei hat mittlerweile mehrere Verdächtige festgenommen, wie Premierminister Manuel Valls am Donnerstagmorgen sagte.

Präsident François Hollande eilte sofort zum Tatort und rief die Nation zur Einheit auf. Er sprach von "Barbarei" und einem "Schock für Frankreich". Nach einer Krisensitzung des Kabinetts erklärte die Regierung, es seien drei Täter am Werk gewesen.

"Diese abscheuliche Tat" sei ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel. US-Präsident Barack Obama bot dem "ältesten Verbündeten Amerikas", Frankreich, jede Hilfe an, "um diese Terroristen vor die Justiz zu bringen". Auch islamische Staaten wie Katar, Muslimverbände, die EU und die Nato verurteilten die Tat vehement.

Vermummte töteten mit Kalaschnikows

Zeugen zufolge drangen zwei schwarz vermummte Männer mit Kalaschnikows in die Redaktionsräume ein und schossen kaltblütig um sich. Die Terroristen riefen "Allah ist groß" und "Wir haben den Propheten gerächt". "Sie sprachen perfekt Französisch", sagte die Zeichnerin Corinne Rey, die den Anschlag überlebte, der Zeitung "l'Humanité". Dabei hätten sie behauptet, zur Terrororganisation Al-Kaida zu gehören. Der Überfall habe etwa fünf Minuten gedauert; sie habe unter einem Schreibtisch Deckung gesucht.

Nach Anschlag: Verdächtige in Nordfrankreich gesichtet

© AFP

Im Internet kursieren von einem Dach aufgenommene Videos von der Straße vor dem Redaktionsgebäude im Pariser Osten. Darauf ist zu sehen, wie einer der vermummten Täter mit einem Schnellfeuergewehr auf einen bereits auf dem Bürgersteig liegenden Polizisten zugeht und ihn ermordet. Auf Fernsehbildern war ein Polizeiwagen mit Einschusslöchern zu sehen.

Unter den Toten sind der Mohammed-Karikaturist und Redaktionsleiter Charb alias Stéphane Charbonnier und sein Leibwächter. Charb tauchte im Frühjahr 2013 im Internetmagazin "Inspire" der Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) auf einer "Fahndungsliste" auf. Die AQAP verübt vor allem im Jemen Anschläge. Neben Charb sind acht weitere Personen zu sehen, darunter der dänische Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard und der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders.

Hollandes Sozialistische Partei rief zu einem "Marsch der Republikaner" auf; Mediengewerkschaften mobilisierten für eine Schweigekundgebung. Der Rat der Muslime in Frankreich nannte den Terroranschlag einen "Angriff auf die Demokratie und die Pressefreiheit".

Das deutsche Satiremagazin "Titanic" ging auf seine ganz eigene Weise mit dem Anschlag um - mit einem Live-Ticker in eigener Sache: "Nach einem Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo reagiert die TITANIC-Redaktion mit Solidarität ("Au weia!") und Standfestigkeit ("Wir machen weiter Witze – gleich nach der Mittagspause!")" Chefredakteur Tim Wolff sagte gegenüber dem Medienmagazin Meedia: "Bevor ich Satiriker bin, bin ich erst einmal fassungslos, dass Menschen mit Raketenwerfern in eine Redaktion rennen und Leute umbringen: Ich bin fassungslos und, will man einen Unterschied zwischen Erschrecken und Angst machen, bin ich erschrocken. Angst habe ich nicht."

Im Internet solidarisieren sich Tausende unter dem Hashtag #JeSuisCharlie mit den Opfern des Anschlags. Zahlreiche Nutzer änderten in den sozialen Netzwerken ihr Profilbild auf einen schwarzen Hintergrund, auf dem eben jener Satz steht. Auch Zeichner aus Franken drückten ihre Fassungslosigkeit im Netz aus. Unter dem Titel "Nous Sommes Charlie" veröffentlichte der Nürnberger Comiczeichner Jeff Chi vier schwarze Panels. Der Humorist und Cartoonist Gymmick veröffentlichte wenige Stunden nach dem Angriff eine entsprechende Karikatur.

 

 

Als Reaktion auf den Anschlag verschärften Länder wie Italien die Sicherheitsvorkehrungen für Medien. In Deutschland sehen Sicherheitskreise keine Anzeichen für erhöhte Terrorgefahr. Für die Deutsche Polizeigewerkschaft ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis es auch in Deutschland einen Anschlag gebe. Angriffe fanatischer Einzeltäter seien nicht zu verhindern, sagte ihr Vorsitzender Rainer Wendt.

Der Anschlag erfolgte am Tag des Erscheinens des islamkritischen Romans "Soumission" (Unterwerfung) von Michel Houellebecq in Frankreich. "Charlie Hebdo" hatte aus diesem Anlass Houellebecq am Mittwoch auf sein Titelblatt gehoben und sich über den Schriftsteller lustig gemacht. Der Roman beschreibt das Leben in Frankreich unter einem muslimischen Präsidenten.

"Charlie Hebdo" war mehrfach wegen Mohammed-Karikaturen in die Kritik geraten. Bereits im November 2011 waren nach der Veröffentlichung einer "Scharia"-Sonderausgabe mit einem "Chefredakteur Mohammed" die Redaktionsräume in Flammen aufgegangen. Die Internetseite war zudem mehrfach von Hackern angegriffen worden.

Dieser Artikel wurde um 13.40 Uhr aktualisiert.

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