Über die Bruchstelle ist Gras gewachsen

26.3.2009, 00:00 Uhr
Über die Bruchstelle ist Gras gewachsen

© Fengler

Auch die drei Häuser gegenüber von Hans Oeders Hof, den damals noch der Schwiegervater betrieb. Der Hof hatte Glück, nur der Heuschober und der Vorplatz waren zerstört. Von hier aus, am Graben, der einmal die Johannes-Brahms-Straße war, besichtigte Ministerpräsident Strauß das Trümmerfeld. Hans Oeder empfindet seither Bescheidenheit. «Was sollten wir uns aufregen, wo es doch die Nachbarn viel schlimmer getroffen hat?» Einen Teil der Fotos und Zeitungsausrisse vom März 1979 hat er schon weggeworfen. Der 55-Jährige hat keine Angst vor dem Kanal. «Man sieht ihn nicht. Und er wird gut kontrolliert.»

Für Landwirte wie ihn ist es heute trotzdem noch der Scheiß-Kanal. Seinetwegen müssen sie Umwege zu ihren Feldern fahren. Ansonsten ist die Beziehung der Anrainer zur Wasserstraße eine leidenschaftslose, unpolitische. Nur wenige Einzelfälle sind dem ehemaligen Katzwanger CSU-Stadtrat Helmut Bloß bekannt, in denen Betroffene später ihren unguten Gefühlen durch einen Umzug nachgaben. Der Dammbruch: ein einmaliges Unglück, wie es täglich auf der Welt vorkommen kann. Es scheint verarbeitet zu sein. Wenn Bloß seinen Geschichtsvortrag über neun Jahrhunderte Katzwang hält, erwähnt er den Dammbruch als eines von vielen Ereignissen. Nie entsteht eine Diskussion, etwa über die Fahrlässigkeit der Planer. «Es wächst Gras darüber», sagt Bloß. Etliche Zeitzeugen sind bereits verstorben.

Nur eine Familie gibt es, da ist das Gras noch zu dünn. Mit Mutter Strobel, deren Tochter am 26. März vor 30 Jahren ums Leben kam, sprechen die Nachbarn aus Rücksicht lieber über andere Themen. Dass ihr genau am 26. März des vergangenen Jahres ein Enkelkind geboren wurde, erscheint ihnen unheimlich, aber schön.

Nürnbergs südlicher Ausläufer Katzwang ist ein altes Dorf, auch wenn die Vorortbebauung kaum mehr danach aussieht. Die Nachbarschaftshilfe nach dem Dammbruch, gesteuert von den Pfarrern beider Kirchen, lief entsprechend herzlich, erinnert sich Helmut Bloß. Der heute 69-Jährige wurde von der Unglücksnachricht in der Fraktionssitzung überrascht, seine Frau rief im Rathaus an. Ihr Straßenzug, nur wenige Meter von der Bruchstelle entfernt, blieb trocken, weil er etwas erhöht liegt. Bloß, Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, half seinem Heimatort zwei Tage lang, Keller von Heizöl und Schlamm zu befreien und Wertsachen zu retten. Schaulustige – darunter viele skeptische Kanalanlieger – sahen den Helfern zu. «Die Aufregung war sehr groß.»

Auch Herbert Wolkersdorfer muss außer sich gewesen sein, was er sich heute nicht mehr im Detail vorstellen kann. Deshalb meint er: «Bei uns war es nicht so schlimm.» Der Kanal hätte auch in der Nacht auslaufen können, überlegt er, und nicht auszudenken, wenn er ganz geflutet gewesen wäre. Die Flut brach dem frisch renovierten Haus, das er mit der Mutter bewohnte, die Garage und den Giebel ab. Es musste abgerissen werden. Drei, vier Jahre Arbeit kostete der Wiederaufbau. Doch die Entschädigungen – der Freistaat gab 20 Millionen Mark nach Katzwang – waren großzügig, sagt der 67-Jährige. Manche holten sich davon neue Fahrräder und 100 Paar Schuhe, wenn man den Lästereien glaubt.

Herbert Wolkersdorfer hinterfragt den Kanal nicht. «Niemand lebt sicher auf der Welt.» Die Katastrophe von Katzwang, sie ist kein lautes Thema. Der Bürgerverein entschloss sich erst kurzfristig, heute ein stilles Gedenken einzuberufen. Die beiden Kirchen veranstalten am Sonntag einen ökumenischen Passionsweg zum Dammbruch-Gedenkstein am Kanalufer. Die Interessengemeinschaft der Geschädigten hatte 15 Jahre bei der Rhein-Main-Donau AG nachbohren müssen, bis sie ihn 1994 errichten durfte. Danach löste sie sich auf. Auf dem Stein steht: «Des Menschen Werk ist vergänglich!» Isabel Lauer

Der Passionsweg beginnt am Sonntag, 29. März, um 17 Uhr an der evangelischen Wehrkirche, Rennmühlstraße 14.

Keine Kommentare