Verborgene Schätze

30.5.2009, 00:00 Uhr
Verborgene Schätze

© Roland Fengler

«Aber ich habe viel von der katholischen Kirche gelernt und weiß vieles an ihr zu schätzen.» Da kommt es für Geisler schon beinahe einem kleinen Glücksfall gleich, dass er vor knapp zwei Jahren zum Pfarrer in Kalbensteinberg gewählt wurde und damit auch zum Hausherren über die dortige Rieter-Kirche. Denn die ist kunstgeschichtlich durch und durch vom Katholizismus geprägt - doch seit der Reformation eben evangelisch.

Kalbensteinberg ist ein kleiner Ort im Fränkischen Seenland. Gerade einmal 334 Menschen leben auf der Anhöhe unweit von Gunzenhausen. Die Obstbauern haben hier ihr Auskommen, am Straßenrand verkauft mancher seinen Zwetschgenschnaps, und Hinweisschilder sollen Urlauber in die wenigen Ferienwohnungen locken. In den «Gasthof zur Post» kehrt man ein, und an den Hängen der Jurahöhe blühen die Kirschbäume.

Pilger auf dem Jakobsweg kommen hier zwangsläufig durch, denn Kalbensteinberg liegt auf dem Weg in das gut 2300 Kilometer entfernte Santiago de Compostela. Folgen sie ihrem Zeichen mit der Muschel, stoßen sie auf die evangelische Pfarrkirche, die so gar nicht in den beschaulichen Ort passen mag und einst von der Nürnberger Patrizier-Familie Rieter gestiftet worden war. Versteckt liegt sie zwischen all den Sandsteinhäusern des Dorfes. Umgeben von stolzen Mauern und einem schmalen schmiedeeisernen Tor. Willkommen ist hier jeder.

Frei zugänglich ist das Gotteshaus dennoch nicht, was so manchen ärgern mag, wenn er denn niemanden im stattlichen Pfarrhaus antrifft. «Unsere Kunstschätze sind einfach zu wertvoll», sagt Pfarrer Geisler. «Unser Palmesel würde woanders hinter Panzerglas stehen.» In der Rieter-Kirche kann man der Holzplastik, die um 1470 entstand, recht nah kommen und den Faltenwurf des roten Umhangs an der Jesusfigur bewundern. Dabei ist es nur ein Kunstwerk aus der Schatzkammer, welche die Rieter über Jahrhunderte hinweg zusammengetragen haben.

Den Grundstein dafür hatte Hans Rieter gelegt und ließ im Jahre 1464 das Gotteshaus erbauen. Als Stifter hatte er nicht nur sein Seelenheil im Blick, sondern muss auch ein wahrlich kunstbeflissener Mann gewesen sein. Denn er stattete die Kirche beinahe wie ein Museum aus, was ihm seine Nachfahren gleichtun sollten.

So zeigt sich dem Besucher heute eine Kirche, die wahrlich ihresgleichen sucht. Auffallend ist etwa die kunstvoll geschnitzte Herrschaftsempore im gotischen Chor, auf der einst die vornehmen Rieter den Gottesdiensten in angebrachter Entfernung zur Dorfbevölkerung beiwohnten. «Wir hatten Glück. Hier hat es nie gebrannt», erklärt Martin Geisler, warum die Kirche den Dreißigjährigen Krieg unbeschadet überlebte. Für die Kunstschätze hatten wiederum die Rieter selbst gesorgt und die wichtigsten Stücke vor marodierenden Horden und Plünderern auf Dachböden versteckt.

Bis heute haben in vielen Kirchen Kunstschätze die Zeit und die Wirren von Kriegen und Glaubenskämpfen überlebt. Zuweilen unbeachtet von einer breiten Öffentlichkeit. Die Nürnberger Kunsthistorikerin Birke Grieshammer hat über Jahre hinweg kleine fränkische Kirchen wie in Kalbensteinberg besucht und sich dabei auf die Suche nach großen und kleinen Besonderheiten begeben, die sich dem Laien nicht sofort erschließen.

Die Ausbeute ist reichlich. Denn so mancher Ort beherbergt in seinem Kirchlein wahre Kunstschätze, Raritäten und Kuriositäten, wie etwa die Heilige Kümmernis in Eltersdorf oder die Darstellung der Geschichte des Hauptmanns Kornelius in Kalchreuth.

Wer vermutet etwa in einer kleinen evangelischen Friedhofskirche so anrührende Totengedenktafeln für Kinder wie in Langenzenn. Während in der Pfarrkirche in Wendelstein im Landkreis Roth eine echte Rarität auf den Kirchenbesucher wartet: Denn dort befindet sich auf der Rückseite des Dreikönigsaltars unter den zur Hölle Verdammten auch eine Hexe abgebildet. Hexendarstellungen auf Altären sind eher selten.

Wunderschön anzusehen ist hingegen der Jungfrauenaltar, den die evangelische Pfarrkirche in Velden an der Pegnitz beherbergt. Darauf sind fünf edle Frauen abgebildet, die eingehüllt in prächtige Gewänder ihre Attribute tragen. Und in Hilpoltstein muss man das Altarbild mit der Kreuzigungsszene schon genau betrachten, um die Heilige Veronika mit dem Schweißtuch entdecken zu können. Tief berührt auch die Pieta in der Ritterkapelle in Haßfurt. Zeigt sie doch eine trauernde Mutter um ihren Sohn. Ein Kunstwerk aus Stein, das bereits um 1400 erschaffen wurde.

36 Kirchen hat Birke Grießhammer aufgespürt, in denen so manche Besonderheit ein Schattendasein führt. In Kalbensteinberg ist es unter anderem eine kleine Terrakotta-Figur, die sie beschreibt. Man könnte sie glatt übersehen, so unauffällig steht sie rechts oben neben der Sakristeitür. Die Legende erzählt von der Madonna, dass sie geweint haben soll. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Rieter-Kirche vor der Reformation auch eine mit Ablassbriefen reichlich bestückte Wallfahrtskirche war. Heute ist die Figur nur eine der Besonderheiten des Gotteshauses, deren Schätze Dank der Rieter zusammengehalten wurden. Denn die hatten verfügt, dass immer der älteste Sohn alles erben sollte.

Die Folge war auch, dass der Platz nicht reichte, um all die Reichtümer richtig positionieren zu können. So finden sich auf beiden Seitenaltären, die dem bedeutenden Nürnberger Künstler Michael Wolgemut zugeschrieben werden, noch zusätzliche Heilige aufgestellt. «Ein Sakrileg», wie Geisler weiß. Und einer der Höhepunkte der Kirche hat bereits Wissenschaftler aus aller Welt in die mittelfränkische Provinz gelockt: Die Theodorus-Ikone, die hinter zwei Flügeltüren aus Holz aufbewahrt wird.

Den Sinn für sakrale Kunst haben die Rieter wie viele andere Nürnberger Patrizier-Familien trotz Reformation nie verloren: So schmückt den mächtigen Hochaltar nicht nur eine imposante, blonde Madonna, sondern unterhalb ihrer Füße auch eine Abbildung der Stifterfamilie - vor der Kulisse des Kornburger Schlosses betend. Auch die 13 Glassärge, die sich in der Familiengruft befinden, sind zum Hochaltar hin ausgerichtet.

Dank des Radongehalts der Luft und der Kühle konnten sich die Toten bis heute wie Mumien erhalten. Für die Öffentlichkeit bleibt die Gruft verschlossen. «Es ist für uns eine Frage der Pietät, die Toten nicht zu präsentieren», sagt Pfarrer Geisler.

Das Erbe der Stifterfamilie hingegen zeigt er gerne bei Führungen und hat dabei auch stets allerlei schöne Anekdoten und Randnotizen parat. So lässt sich rasch erklären, warum die dunkle Holzfelderdecke des Kirchenschiffs niedriger ist und so gar nicht zu dem lichtdurchfluteten Chor passen mag: Einst befand sich gegenüber der Kirche eine Brauerei und die durfte den Raum oberhalb der 1620 abgehängten Decke schließlich nutzen. Während also die Gemeinde von Kunstschätzen umgeben die Hände zum Gebet faltete, trocknete unter dem Dach der Hopfen.

Birke Grießhammer, Verborgene Kunstschätze in fränkischen Kirchen, Novum-Verlag, 19,90 Euro