Vor 50 Jahren brannte das Ringkaufhaus

14.1.2012, 17:57 Uhr
Vor 50 Jahren brannte das Ringkaufhaus

© NZ

An jenem diesigen Mittwochvormittag vor einem halben Jahrhundert wird der damals 26-Jährige Zeuge, wie das ehemalige Ringkaufhaus in der Nähe des Plärrer in Flammen aufgeht. Die Kaufhof AG hatte ihr Lager in dem früheren Warenhaus. 22 Menschen sterben bei der größten Brandkatastrophe, die Nürnberg nach 1945 ereilt hat.

Turan, der zu dieser Zeit bei Siemens in Erlangen arbeitet, genießt in jenen Januartagen einen Kurzurlaub und stattet seinem Freund Kurt Füglein in dessen Autohaus unweit des ehemaligen Ringkaufhauses einen Besuch ab. „Plötzlich sagt Kurt zu mir: ,Cahit, komm mit, da brennt es.‘“ Kurzentschlossen eilen der junge Türke und der inzwischen verstorbene Autohausbesitzer zu dem viergeschossigen Gebäude, das bis zur Schließung 1956 als Kaufhaus genutzt wurde.

Vor 50 Jahren brannte das Ringkaufhaus

© Roland Fengler

„Es war noch keine Feuerwehr da, auch keine Sanitäter und keine Polizei“, erinnert sich Turan. Diese Stellen wurden offenkundig zu spät alarmiert, wie aus dem später vom Stadtrat in Auftrag gegebenen Untersuchungsbericht hervorgeht. Die Angestellten haben demnach lange die Gefahr unterschätzt. Ein Lagerarbeiter bemerkt den Brand zwischen 11.15 und 11.30 Uhr, als ihm aus einem Treppenhaus Rauch entgegenkommt. Dieses Treppenhaus aus massivem Eichenholz wurde nicht mehr in seiner ursprünglichen Funktion genutzt, sondern als Papierlager. Der Lagerarbeiter will denn auch Altpapier hineinschütten – da sieht er den Rauch und einen Feuerschimmer. Zu diesem Zeitpunkt sind 53 Angestellte im Haus.

Der Lagerarbeiter und einige Kollegen versuchen, das Feuer mit Handlöschern und Wasser selbst in den Griff zu bekommen, was jedoch nicht gelingt. Andere verlassen das Gebäude, einer sagt um 11.42 Uhr der Polizei Bescheid. Zudem geht um 11.43 Uhr ein Notruf bei der Feuerwehr ein. Derweil ruft der Angestellte Norbert Mletzko im Dachgeschoss an, um die Mitarbeiter in den oberen Stockwerken von der Gefahr zu informieren. „Das Papierdings brennt“, lässt er ausrichten.

 



Das Feuer entwickelt derweil in dem mit leicht brennbaren und explosiven Materialien angefüllten Haus eine enorme Dynamik. Selbst im Erdgeschoss können sich letztlich nicht mehr alle retten: Mletzko und eine Reinigungskraft wollen sich über die Hofseite des Lagers in Sicherheit bringen – dort aber sind die Fenster vergittert. Sie sterben einen grauenvollen Tod.

Auch Turan nähert sich über die Rückseite dem Gebäude; er will hinein, den Menschen helfen. Aber die Wucht einer Detonation schleudert ihn hinaus. Vielleicht sein Glück, denn in der Flammenhölle wäre Turan wohl umgekommen. Stattdessen versucht er, jenen Angestellten zu helfen, die inzwischen in heller Panik aus den oberen Stockwerken springen, weil die Feuersbrunst ihnen den Weg nach unten abschneidet. Er klettert auf die fünf Meter hohe Pergola eines benachbarten Autohauses und birgt die Leiche einer jungen Frau, die dort aufgeschlagen ist. „Ich weiß bis heute nicht, wie ich da hinaufgekommen bin.“ Mit bloßen Händen versucht er vergeblich, den springenden Menschen zu helfen. Seine Kleidung ist blutverschmiert; der Kaufhof wird sie ihm später ersetzen.

Vor 50 Jahren brannte das Ringkaufhaus

© Fengler, Ulrich

Als die Feuerwehr eintrifft, breitet sie ihr Sprungtuch aus, das jedoch in den Rauschschwaden für die Hilfesuchenden schwer zu erkennen ist. Nur zwei Angestellte können mit Hilfe des Tuchs gerettet werden. Manche bringen sich mit waghalsigen Klettertouren in Sicherheit, andere gelangen über die Drehleitern der Feuerwehr nach unten.

Der heute 76-jährige Wilhelm Neumaier, damals Rettungssanitäter beim Bayerischen Roten Kreuz, erinnert sich noch gut an den Anblick des brennenden Hauses: „Da hat es aus jedem Loch herausgequalmt.“ Er fährt Verletzte mit dem Krankenwagen ins Klinikum – und später hat er auch die traurige Aufgabe, die Toten zum Südfriedhof zu bringen. 15 Menschen sterben im Haus (davon zwölf im dritten Obergeschoss), fünf durch den Sprung in die Tiefe, zwei erliegen in den folgenden Tagen noch ihren Sprungverletzungen. Die 18 Frauen und vier Männer sind zwischen 15 und 45 Jahre alt.

„Nürnberg in tiefem Leid“, lautet tags darauf die Schlagzeile der Nürnberger Zeitung, die am 18. Januar ihre gesamte Titelseite dem fürchterlichen Unglück widmet. In den Tagen danach findet eine heftige Diskussion statt, wie es zu dieser Katastrophe hat kommen können, in den Tageszeitungen muss sich die Feuerwehr viele kritische Fragen stellen lassen.

Vor 50 Jahren brannte das Ringkaufhaus

© Roland Fengler

Ob die Brandursache wirklich, wie anfangs vermutet, eine achtlos weggeworfene Zigarettenkippe eines Arbeiters war, kann letztlich nicht geklärt werden. Der Arbeiter wird freigesprochen. Für die feuerpolizeilich unhaltbaren Zustände müssen sich vor Gericht drei leitende Angestellte verantworten, aber auch sie bekommen 1966 in zweiter Instanz Freisprüche. Im selben Jahr wird die Ruine des einstigen Ringkaufhauses abgerissen.

Neumaier ist noch bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1996 als Rettungssanitäter unterwegs, einen vergleichbaren Einsatz aber hat er nicht mehr erlebt. Der inzwischen 76-jährige Cahit Turan, der später als Sozialarbeiter bei der Arbeiterwohlfahrt und seit 1973 als freiberuflicher Dolmetscher tätig ist, nimmt sich kurz nach dem Unglück einen einwöchigen Urlaub. Er fährt nach Oberammergau, in die Natur, um das Geschehene zu verarbeiten.

„Wir Menschen können vergessen. Das ist glückliche Gabe und furchtbarer Fluch“, schreibt die NZ wenige Tage nach dem Unglück in der Sorge, dass das Gedenken an die Toten im schnelllebigen Alltag zu rasch verdrängt werden könnte. Cahit Turan wird jenen Januarvormittag des Jahres 1962 jedoch niemals vergessen können: „Es war das Schrecklichste, das mir in meinem Leben passiert ist.“
 

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