Was tun bei Ärger im U-Bahnhof?

25.9.2009, 00:00 Uhr

«Zwaa Jächermaster für die Mudder und mich . . .» Der deutlich angetrunkene Stadtstreicher am Busbahnhof Maximilianstraße kommt vor der VAG-Mitarbeiterin richtig in Fahrt. «Des is mei Revier», plärrt der Mann, «was sagst’n dou, Mudder?!» Eigentlich will Renate P. ihm sagen, dass er Ruhe geben oder gehen soll, weil er Fahrgäste belästigt. Ihre Worte fliegen ins Leere. «Und, wos willst etz machen?»

Klar Position beziehen und die Situation abkürzen, konstatiert Helmut Münzberg freundlich, als der kurze Videofilm zu Ende ist, der das Praxistraining dieses Vormittags festgehalten hat. Der von einem Schauspieler dargestellte Stadtstreicher war absolut belehrungsresistent. Da gibt es nur einen Weg: Die VAG-Leitstelle anfunken und Polizei-Unterstützung anfordern, sagt Münzberg, der Leiter der VAG-Servicedienste und Chef von rund 120 Mitarbeitern. Schon um dem massiv alkoholisierten Mann zu helfen, der sich kaum noch auf den Beinen halten kann.

Deeskalation ist immer das Ziel

Um was geht es hier? Was will ich erreichen? Sätze wie diese fallen immer wieder in dem zweitägigen Kurs, zu dem die VAG Verkehrsmeister, Fahrkartenkontrolleure und Servicekräfte schickt. Nur dann ist ein gezieltes Gespräch möglich, um etwa das Rauchverbot im U-Bahnhof durchzusetzen. Wer da von einem uneinsichtigen Raucher den Fahrausweis verlangt, um seine Autorität zu untermauern, hat praktisch verloren, sagt Münzberg. «Das Schlimmste ist, aus einer Situation zwei zu machen, das führt in 80 Prozent der Fälle zur Eskalation.»

Das Gegenteil ist das Ziel. Psychologe Heinrich Fiebiger geht deshalb mit den zwölf Teilnehmern jedes Kurses zahlreiche Themen von Wahrnehmungsproblemen bis zum Konfliktmanagement durch. Deeskalation beginnt schon bei der Annäherung, macht der Experte der Grundig-Akademie im Theorieteil klar. Also gilt es, sich schon einige Meter vor dem Fahrgast, um den es geht, visuell bemerkbar zu machen, langsam auf ihn zuzugehen und ihn erst dann anzusprechen. Der Andere muss die Chance haben, sich zu orientieren, sagt Psychologe Fiebiger. Denn oft sind heftige Gefühle im Spiel, die sich sonst vulkanartig entladen könnten. Aber auch Körperhaltung und Gestik sind wichtig, Blickkontakt und eine klare Sprache mit Ich-Botschaften.

Wie das funktioniert, zeigt das Beobachtungs-Video eines Polizeibeamten, der im Praxistest einem «Ausländer-Hasser» im U-Bahnhof entgegentreten muss. Ruhig, freundlich und sehr präsent geht der Beamte auf den Mann zu. Als der Schauspieler sein «Ausländer raus» weiter skandiert, schaltet der Beamte um und stellt den Störer unmissverständlich vor die Alternative: Entweder er geht freiwillig - oder er landet unfreiwillig in der Wache.

Das Miteinander von VAGlern und Polizisten in den seit zehn Jahren laufenden Kursen ist Programm. Weil sich beide Seiten so kennenlernen, und weil das Zusammenspiel eingeübt werden kann. Polizeibeamte haben kein Hausrecht auf VAG-Terrain, VAGler wiederum können keine Personalienfeststellung erzwingen oder Platzverweise aussprechen.

Diese Zusammenarbeit hätte Renate P. im Konflikt mit dem Stadtstreicher suchen sollen. Darin sind sich alle Teilnehmer nach dem Beobachtungs-Video einig. Um dem betrunkenen Mann zu helfen, aber auch, um sich selbst zu schützen, fasst Helmut Münzberg zusammen: Kein VAGler sollte in eine Situation gehen, «die er selbst eventuell nicht überschauen kann». Die jungen Schläger, die einen Münchner S-Bahn-Fahrgast vor zwei Wochen zu Tode prügelten, sind auch hier in die Köpfe eingebrannt.

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