Wenn die Seele krank wird

11.3.2009, 00:00 Uhr
Wenn die Seele krank wird

© Niklas

Jede vierte Krankmeldung beim Arbeitgeber hat inzwischen psychische Gründe, sagt Ingrid Geier, die am vergangenen Samstag neu gewählte ApK-Vorsitzende – Tendenz steigend. Das Problem: Betroffene schämen sich, kehren die Tatsachen unter den Teppich und berichten im Kollegenkreis lieber von Rückenschmerzen. Und viele Ärzte erkennen die psychischen Ursachen einer «Unpässlichkeit» erst gar nicht.

Problemkreis Nummer zwei: Die Deckelungen im Gesundheitssystem führen dazu, dass viele Erkrankte nicht richtig austherapiert werden, so Geier. Die Folgen tragen die Angehörigen: 60 Prozent der Patienten werden längerfristig von Eltern, Partner oder Kindern betreut. Das bringt auch finanzielle Konsequenzen mit sich: Betreuung und Beruf sind zeitlich oft kaum miteinander vereinbar.

Arzt bekommt gerade mal 55 Euro im Quartal

Das alles wird noch durch die Gesundheitsreform verschärft, die zum Jahresbeginn 2009 in Kraft trat. Bei vielen Krankheitsbildern bekomme der Arzt jetzt gerade noch 55 Euro pro Quartal, sagt Ingrid Geier. Hausbesuche, die schon früher eher Seltenheitswert hatten, seien nun praktisch gar nicht mehr möglich. Etliche Neurologen trügen sich mit der Entscheidung, die eigene Praxis aufzugeben und sich für Stellen in Kliniken zu bewerben. Und dies, obwohl allein in Nürnberg, schätzt der ApK, mindestens 10.000 Menschen an einer psychischen Erkrankung leiden.

Vor diesem Hintergrund versucht der 1993 gegründete, gemeinnützige Verein mehr denn je, Unterstützung zu leisten. Das beginnt bei der Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit, reicht über die Vermittlung von Beratungsdiensten und das Angebot von Selbsthilfegruppen und endet noch längst nicht beim monatlichen Stammtisch, zu dem jeder ohne Verpflichtung kommen kann.

Zum Themenkreis Aufklärung gehört beispielsweise die «Verrückt – na und?!»-Initiative an der Berufsschule 6 im vergangenen Jahr. Einen Tag lang konnten sich junge Berufsschüler mit psychischen Erkrankungen auseinandersetzen – um Vorurteile abzubauen.

Heuer steht das Projekt «Ice Breaker» im Mittelpunkt: Schüler an der Adam-Kraft-Realschule proben dieses Theaterstück zum Thema Depression bei Jugendlichen und führen es am 19. März auf. Ziel ist es zum einen zu vermitteln, dass der augenscheinlich faule, schlecht erzogene Mitschüler vielleicht in Wahrheit psychische Probleme hat; zum anderen sollen die jungen Menschen erkennen, dass psychische Erkrankungen nicht unnormaler sind als eine Krankheit im körperlichen Bereich.

Sehr wichtig ist auch die Lobby-Arbeit. Zum Beispiel beim Problemfeld Doppeldiagnosen: Immer häufiger entwickeln Suchtkranke mit der Zeit psychische Erkrankungen – bzw. schlittern umgekehrt psychisch Erkrankte in Süchte hinein. Bislang gebe es kaum geeignete Einrichtungen für solche Patienten, sagt Hartmut Garreis, der Vorsitzende der ApK-Stiftung (siehe dazu Kasten rechts).

Die Politik müsste viel mehr Geld für die Beratung und Behandlung Betroffener bereitstellen, sagen die ApK-Vertreter. Die Zusammenarbeit der Kliniken mit den Angehörigen müsste deutlich intensiviert werden – etwa bei der Frage, wie es nach dem stationären Aufenthalt weitergeht oder wo Angehörige Unterstützung finden.

Nicht zuletzt wären ambulante Angebote dringend notwendig: Viele Erkrankungen verlaufen in (nicht planbaren) Schüben, die Patienten brauchen dann schnell Pflegebeistand, den vor allem arbeitende Angehörige nicht sofort selbst leisten können, so Garreis. Darüber hinaus fordert der Verein die Einrichtung von Tageskliniken und Tagesstätten sowie eine bessere ambulante und (teil)stationäre Versorgung speziell für psychisch kranke Kinder und Jugendliche. tig

Der Stammtisch für Angehörige versteht sich als offenes Angebot für jeden Interessierten. Er findet immer am letzten Freitag eines Monats ab 18 Uhr statt, im Gasthaus Silberne Kanne, Breitscheidstraße 15. Der Verein ist erreichbar unter Telefon 0911-4248555 sowie unter info@apk-nuernberg.de per E-Mail.

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